Im Gespräch mit Univ. Doz. Dr. Mag. Georg Gombos

slo.at.: Herr Dr. Gombos: Kürzlich haben sie erfolgreich Ihre Habilitation verteidigt. Worüber haben Sie geforscht?
Gombos: Ich beschäftige mich mit Fragen der Mehrsprachigkeit. Das Thema der Habilitation lautet: Babylon in der Postmoderne. Interkulturelle Bildungsarbeit als neues Paradigma der Bildungsarbeit.
slo.at.: Zu welchen Schlussfolgerungen sind sie gekommen, nachdem Sie ja auch das Projekt eines dreisprachigen Kindergartens in Ferlach/Borovlje wissenschaftlich begleitet haben?
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Gombos: Zwei zentrale Schlussfolgerungen sind: 1. es ist für Kinder, aber auch Jugendliche und Erwachsene unter guten Bedingungen möglich, gleichzeitig mehr als eine Sprache zu lernen, aber auch wenn die Bedingungen nicht optimal sind, wie in Kärnten, ist das möglich. 2. der Rahmen in dem ein solches Lernen stattfindet, ist sehr wichtig. Der gesellschaftliche Rahmen, d.h. die Art und Weise, wie die unterschiedlichen ethnischen Gruppen miteinander umgehen bzw. welche Wertigkeiten einer Sprache zugestanden werden, wirkt tief in die pädagogische Arbeitswelt hinein. D. h. die Menschen sind nicht frei von ihren Erfahrungen, wie sie aufgewachsen sind, was sie miterlebt haben biographisch, was sie täglich erlebt haben, was sie täglich noch erleben, was in den Medien passiert. Und es ist interessant zu sehen, dass das eben auch die einfachste und grundlegendste pädagogische Arbeit beeinflusst. Daraus ergibt sich ein Ansatz, der den pädagogischen Bereich zu stützen trachtet, um ein sprachenfreundliches Umfeld zu gestalten. Gleichzeitig muss man die Auswirkungen der Politik der letzten Jahrzehnte und der jetzigen gesellschaftlichen Verhältnisse mit den Pädagogen diskutieren und hinterfragen. Das schaut im Konkreten so aus, dass man schaut wie sie arbeiten, man fragt, was sie verbessern wollen und ihre Motivationslage herausarbeitet. Und die ist ja doch bei zwei- oder mehrsprachiger Bildungsarbeit klar gegeben: Sie wollen, dass die Kinder in zwei oder drei Sprachen erzogen werden.
slo.at.: Ist das Problem nicht so, dass wir alle sozialisiert sind in quasi nationalstaatlichen Kategorien, Muttersprache, Volkstum und daraus abgeleitet gibt es natürlich unterschiedliche gesellschaftliche Statuse, ….
Muss man da nicht auch diese Vorstellungen von Muttersprache, Fremdsprache etwas in Frage stellen?

Gombos: Das ist völlig richtig und man muss in Frage stellen, man muss dekonstruieren, wozu diese Vorstellungen, diese Konstrukte gut bzw. schlecht waren. Das Problem der pädagogischen Arbeit ist nur, dass wir beschränkte zeitliche Ressourcen haben, um mit den PädagogInnen eine tiefgehende Arbeit zu machen. Aber man kann sie mit einem Bildungsdiskurs abholen, d. h. wenn man die Frage stellt, was wollt ihr für die Kinder und für die Zukunft, dann bekommt man relativ bald eine Einigkeit auf der Ebene der sprachlichen Bildung, d. h. alle sind sich dann einig, ja wir wollen, dass die Kinder in den Sprachen, die wir anbieten, etwa in dreisprachigen Kindergärten – Deutsch, Slowenisch plus eine weitere Sprache, meistens Italienisch, manchmal Englisch gut gefördert werden. Wir wollen, dass die Kinder dort optimal gefördert werden und da kann man ansetzen, um Möglichkeiten, Methoden zu entwickeln, um das zu gewährleisten. Es kommt natürlich auch zu inneren Konflikten mit den ansozialisierten Denk- und Wahrnehmungsmustern. Das wiederum bietet die Möglichkeit, das zu diskutieren und zu dekonstruieren und zu sagen, die Zukunft Europas ist sicher nicht eine, die auf rigiden nationalstaatlichen Einheiten und einer dazugehörenden Nationalstaatsideologie basieren wird. Andererseits muss man sehen, dass Europa auch einen Weg der Vereinheitlichung geht und da ist es ganz zentral sich zu fragen, in welchen Bereichen diese Vereinheitlichen stattfinden soll und in welchen nicht. In einem Bereich sollte sie meines Erachtens nicht passieren, nämlich im sprachlichen Bereich, ich glaube nicht, dass es das Ziel Europas sein sollte, nur mehr eine der Sprachen in absehbarer Zeit – 50 Jahre, 100 Jahre – zu sprechen. Es ist in den einzelnen EU-Staaten schwer vorstellbar, unter anderem auch deswegen, weil jeder der in Frage kommenden großen Sprachen, Englisch, eventuell auch Französisch, Spanisch, Deutsch eine Sprache eines der Mitgliedsländer ist. Es würde sofort eine Machtfrage entstehen.
slo.at.: Da gibt es schon Probleme. Die EU hat das Prinzip der Amtssprachen aller Mitgliedsländer und es gibt die Arbeitssprachen Englisch, Französisch, Deutsch. Realpolitisch ist es aber so, das z. B. in der Kommission – wenn man sich jetzt die neuen zehn Kommissare anschaut, dann gibt es nur einen, der Französisch kann – der Ungar, alle anderen können nur Englisch und realpolitisch läuft die Diskussion in der Kommission englisch ab und verlieren die anderen Sprachen an Bedeutung. Im Parlament ist es anders, da werden alle Sprachen übersetzt, natürlich im Relais-System, was zur Folge hat, dass an Inhalten viel verloren geht. Faktum ist, dass die europäische Identität eine Identität der sprachlichen Vielfalt ist. Es wird sicherlich so sein, dass es gewisse Sprachen mehr gesprochen werden. Solange es Nationalstaaten geben wird, wird es auch deren Sprachen weiter geben.
Gombos: Die eine Seite ist die Sphäre der Politik, in der Englisch dominant ist und mit 99 % auch dominant bleiben wird. Es ist auch ganz klar für alle Mitgliedsstaaten, dass sie Anstrengungen unternehmen, dass ihre Mitbürger Englisch lernen. Aber in der Sphäre der Bildung und Kultur, gibt es andere Aspekte auch noch. Und das ist die entscheidende Frage. Wollen wir unsere Staatssprache plus Englisch oder sind wir bereit mehr zu tun, selbst die EU und auch der Europarat haben dieses Problem erkannt und deswegen propagieren sie, dass jeder Bürger mindestens drei Sprachen können müsste. Und die Grundidee ist die, dass wir die kleineren Sprachen noch dadurch stärken, dass wir Leute animieren, die Sprachen voneinander zu lernen, Nachbarschaftssprachen, Minderheitensprachen, damit es auch Sphären gibt, in denen die Kommunikation in einer dieser kleineren Sprachen stattfindet und nicht automatisch Englisch. Das ist eine Entscheidung, die gefällt werden muss und da müssen Mittel investiert werden, wenn man das will. Ein gewisser Wille der EU und des Europarates sind vorhanden und es werden finanzielle Mittel für dieses Ziel investiert – denken Sie etwa nur an das „Europäische Jahr der Sprachen 2001“ bzw. an jetzige Folgeprogramme.
slo.at.: Das wissen wir schon seit Jahren. Trotzdem gibt es in Kärnten Schwierigkeiten mit der Zweisprachig- bzw. Dreisprachigkeit, weil in den Köpfen der Menschen die Sprache eine verschiedene Wertigkeit hat. Wir wissen, dass natürlich einerseits die Entwicklung des Nationalstaates die Tendenz in sich birgt zu homogenisieren, Schaffung von Werten und diese Werte entlang einer Sprache als Staatssprache am leichtesten durchsetzbar waren und damit die Tendenz der Assimilation. Man hat jetzt erkannt, dass man nicht ganz richtig gelegen ist, weil auch größere Sprache merken, dass sie unter Druck kommen könnten. Es nicht ausgemacht, dass z. B. Deutsch überleben wird.
Wenn wir hier von Kärnten ausgehen, da haben wir jeder in seinem Rucksack Vorurteile, die einen Einfluss auf die Wertigkeit von Sprachen haben. Wie kann man diese Vorurteile überwinden, damit die Leute angstfrei an das Erlernen dieses europäischen Prinzips herangehen können, Mutter-, Nachbar-, Weltsprache. Es gibt auch auf der Mehrheitsseite Probleme und auch innerhalb der Staatsstruktur, andererseits glaube ich auch, dass es auch innerhalb der Minderheit ein Problem gibt, weil wir alles durch die ethnische Brille sehen, die einschließt oder ausschließt. Wie geht man mit solchen Problemen um?

Gombos: Zunächst zum Begriff der Grenze. Ich glaube, dass sich in den letzten Jahren sich Grenzen verschoben haben. Damit meine ich nicht nur die Grenzen, die wir sehen können. Ich glaube auch, dass auch in den Köpfen den Menschen die Grenzen begonnen haben sich zu verschieben. Diese Verschiebung stellt bisheriges Denken zumindest tendenziell in Frage. Das läuft unbewusst und es lässt sich nur an einzelnen Phänomenen erkennen, dass etwas passiert. Z. B. wenn wir feststellen, dass zwei- oder dreisprachige Kindergärten florieren, immer besser ausgebucht werden, obwohl die Mehrzahl der Kinder, die dorthin gehen, nicht zwei- oder dreisprachig sind, sondern zwei bzw. drei Sprachen erst dort erlernen und sich die offiziellen politischen Bedingungen nicht wesentlich verändert haben – es gibt wenig oder keine Politiker, die lautstark propagieren, das es wichtig und wunderbar wäre die Sprachen der Nachbarn zu lernen. Aber bei den Menschen ändert sich offensichtlich einiges. Ich glaube, dass sich viele nicht mehr in dem Entweder-Oder einer Mitgliedschaft zur Mehrheit oder zur Minderheit sehen. Ich glaube auch, dass das gesellschaftliche Klima in Europa sich langsam aber sicher von einer einengenden, alle Lebensbereiche dominierenden ethnischen Identitätsdefinition hin zu offeneren und vielfältigeren Identitätsentwürfen bewegt. Das ist tatsächlich eine neue Situation und zu dieser gehört natürlich die Frage der Identität des Einzelnen in diesem Europa zentral dazu und wenn wir das jetzt in ethnischnationalen Kategorien fassen, dann sind wir dort, wo wir immer waren. Dann sind wir in einer zweihundertjährigen Geschichte und dort bewegt sich eigentlich wenig oder gar nichts, da automatisch dann der andere als das Problem gesehen wird und der größere europäische Zusammenhang wieder aus dem Blick gerät. Wenn wir das aber anders fassen, wenn wir sagen, Europa ist de facto mehrsprachig, ist de facto multikulturell und wir müssen den Bürgern helfen, sich auch als solche wahrzunehmen und ein Weg dazu ist die Sprachkompetenz, ein wesentlicher Weg, um Kommunikationsmöglichkeiten zu eröffnen, dann können wir einen Bildungsdiskurs führen und die Menschen fragen: Was ist euch den wichtig, für eure Kinder, für die Zukunft? Und wenn man das auf Europa bezieht, dann ist eine starke Tendenz einer größeren Offenheit der Menschen zu beobachten, sich auf solche Denkkategorien einzulassen und auch Identität nicht eindeutig ethnisch festzulegen. Die Herausforderung des modernen Menschen besteht gerade darin, dass er sein Leben lang aufgrund der ständig veränderten Lebensbedingungen seine Identität konstruieren muss und dass dabei selbstverständlich sprachliche und kulturelle Teile wichtig und wesentlich sind. Das ist auch eine Botschaft an die ethnischen Gruppen, dass nicht das, was sie mitbringen an Sprache und Kultur plötzlich uninteressant wird, sondern dass sie den Menschen die Freiheit lassen sollten, ihre Identitätskonstruktion selbst zu wählen. Ich glaube allerdings das genau dies abseits des Minderheits-Mehrheitsdiskurses de facto ja passiert. Ich glaube, dass viele Eltern – besonders jene mit slowenischen Vorfahren – aus einer Distanz heraus die Chance sehen, ihren Kindern etwas mit zu geben, was ihnen aufgrund der gesellschaftlichen Konflikte und Verhältnisse verwehrt blieb. Ein Diskurs, der europäische Identität und sprachliche Bildung in den Vordergrund rückt, hilft ihnen dabei, für sich und ihre Kinder einen wertschätzenden Zugang zur slowenischen Sprache zu schaffen.
slo.at.: Kann man in Zeiten wie diesen überhaupt von eindimensionalen Identitäten generell sprechen oder spricht man heute von multiplen Identitäten? Für ethnische Gruppen kann das ja auch fatale Folgen haben. Aus der Literatur kennen wir den Begriff der Assimilation, wir kennen aber auch den Begriff der Akkulturation und im Prinzip sind wir alle dem Akkulturationsprozess ausgesetzt. Was halten sie vom Konzept der multiplen Identität oder zugespitzt: Ist es möglich mit einer geschlossenen, verschlossenen, eindimensionalen (ethnischen) Identität sich in der Postmoderne zu integrieren in eine moderne Gesellschaft oder ist eine Strategie der Offenheit der multiplen Identität, die interkulturelle Neugier, ein erfolgsversprechenderes Konzept zu überleben?
Gombos: Ich glaube, dass das Zweite das Erfolgsversprechendere ist, weil eine gewissen Offenheit und Flexibilität benötigt wird, um die Lebenssituationen zu bewältigen. Schwerpunktmäßige Identitätsanteile werden Menschen immer besitzen. Darunter kann auch fallen, dass man seine Herkunftskultur pflegt. Die Frage ist nur die Art und Weise: Pflege ich das, indem ich andere ausschließe, indem ich mich vollständig abgrenze, indem ich versuche, mein gesamtes Leben in einem ethnischen Bereich zu konstruieren. Das war bis jetzt mühsam und ich bin völlig überzeugt, dass es noch mühsamer wird, wenn nicht unmöglich. Das erzeugt so etwas wie Ethnostress. Das funktionier wie eine Brille, die man sich aufsetzt und versucht, die ganze Wirklichkeit aus dieser Brille zu sehen. Ich halte es für wesentlich einfacher, diese Brille loszuwerden und sich zu überlegen, was ist mir wichtig für mein Leben und wie positioniere ich mich. Heute können doch Eltern von kleinen Kindern absolut nicht vorhersagen, wie die Welt in 20, 25 Jahren für ihre Kinder aussehen wird. Die Eltern können nur versuchen, möglichst gute Bildung den Kindern mitzugeben und gute Bildung definiert sich jetzt nicht in erster Linie als Anhäufung von Wissen und Inhalten, sondern als Kompetenzaneignung. Zu den wesentlichsten Kompetenzen der Zukunft gehört der Umgang mit Neuem, Fremdem – seien es neue Herausforderungen im Arbeitsleben, sei es ein offener Umgang mit Menschen mit einem anderen sprachlich-kulturellem Hintergrund. Wir wissen aus der Forschung, dass wenn Kinder mit mindestens zwei Sprachen langfristig mindestens sieben bis zehn Jahre lang aufwachsen, dass sie dann leichter andere Sprachen lernen. Wenn wir dazu noch eine Offenheit den Kindern mitgeben, eine Neugierde, dann werden sie andere Sprachen dazulernen. Wenn das z. B. Deutsch und Slowenisch ist, kann man gleich dazu sagen, dass Englisch im österreichischen Schulwesen dermaßen gut abgesichert ist, dass am Schluss die Schulabgänger schon dreisprachig sind. Sprache heißt in unserem Zusammenhang immer auch Kultur, immer auch Kommunikation mit anderen. Das sind die Investitionen, die man heute tätigen kann für die Zukunft der Kinder und man muss dazu nicht irgendwelche großen ethnischen Beschreibungen oder Symbole in den Vordergrund rücken. Wir wissen z. B. aus Therapien, dass Menschen versuchen, ein positives Verhältnis zu ihren Eltern und Vorfahren zu haben. Wichtige therapeutische Arbeit ist, da Aussöhnung herbeizuführen und da sind die Kinder immer interessiert zu fragen, wo bist du hergekommen, wer warst du, welche Sprache hast du gesprochen. Da ist eine automatische Wertschätzung da, wenn man es zulässt. Und was die Kinder von heute als Erwachsene von morgen damit machen, dass können wir nicht festschreiben.
slo.at..: Die neuen Bedingungen der europäischen Integration, die Flexibilisierung des Lebens, die Unplanbarkeit des Lebens auf Generationen gedacht, erfordert eine große Flexibilität der Menschen und Qualifikationen. Sind für diese Qualifikationen ethnische Rahmenbedingungen noch brauchbar oder in welchem Grad noch brauchbar?
Gombos: Das ist eine schwierige Frage. Es scheint so sein, dass die ethnischen und damit oft verbunden die ethnisierenden Rahmenbedingungen unter Druck geraten. Ein Minderheitenkonzept, das eine Grenze einzieht und sagt, durch diese Grenze stellen wir fest, wer ist anspruchsberechtigt und wer nicht, und dazu brauchen wir Bekenntnis, das kommt jetzt unter Druck, wenn wir sehen, dass es Menschen gibt, die sich nicht gerne zuordnen lassen, aber eine Interesse haben an Sprache und Kultur.
slo.at.: Die Zuordnung ist in der Vergangenheit massivst diskriminiert worden. Dieser Regelungsmechanismus funktioniert ja heute unter den neuen Bedingungen nicht mehr so. Die Individualisierung schreitet voran und in Wirklichkeit hat der Staat immer weniger Möglichkeiten, die Menschen ein- und auszugrenzen, aber auch die Volksgruppeneliten haben immer weniger Möglichkeiten, die Menschen ein- und auszugrenzen. Schlussfolgerung: Ein offenes Konzept fernab von nationaler Ein- und Ausgrenzung, ein mehrsprachiges Konzept ermöglicht es in Wirklichkeit allen Segmenten sich dort wiederzufinden, den bekennenden Minderheitenangehörigen ebenso wie den nicht bekennenden Minderheitenangehörigen, wobei eben die gegenseitige Akzeptanz und nicht die gegenseitige Missionierung die Voraussetzung ist.
Gombos: Absolut. Ich glaube, dass ein Bildungsdiskurs so eine Schirmfunktion haben kann, unter der sich verschiedene Gruppierungen finden können und selbstverständlich gibt es in der Gesellschaft dann noch andere Instanzen, die ihr „Produkt“ anbieten und die Eltern und Kinder können davon nehmen oder nicht nehmen. Aber Aufgabe von Bildungsinstitutionen wie Kindergärten oder Schule ist doch, einen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit wahrzunehmen und sinnvolle pädagogische Arbeit anzubieten. Dabei besteht die Spannung in der Schule ja darin, einen Teil zu reproduzieren, gleichzeitig aber auch einen Freiraum zu schaffen für kritisches Denken, um über die bestehenden Verhältnisse hinaus zu denken und eine kritische, veränderungsbereite neue Generation heranzubilden. Die Schule bereitet ja die nächste Generation vor, es kann ja nicht nur Aufgabe der Schule sein, das Bestehende nur zu bejahen und Leute zu produzieren, die das dann weiter führen. Sie muss auch zur Kritikfähigkeit erziehen. Der Bildungsdiskurs ist einer, der das ermöglicht. Warum sollen SchülerInnen nicht hitzige Debatten über ethnische Gruppen, Nationalismus in drei Sprachen führen? Warum sollen sie nicht einander erzählen, von wo überall ihre Vorfahren stammten und welche Sprachen sie sprachen? Der springende Punkt ist, dass wir die SchülerInnen und Schüler dazu bringen sollten, soviel Respekt und Anerkennung einander zu geben, dass sie die Erfahrungen im Raum stehen lassen können und bereit sind die angebotenen Sprachen zu lernen. Das ein entscheidender Punkt. Und das setzt voraus, dass niemand versucht, den anderen zu vereinnahmen. Es gibt natürlich Empfindlichkeiten aus der Geschichte, die aus Abwertungserfahrungen herrühren. Das ist auch ein Punkt, der besprochen werden muss, weil mir oft vorkommt, dass die nachkommenden Generationen, etwa die einsprachig Deutschsprachigen, oft die Empfindlichkeiten der zweisprachig Sozialisierten nicht verstehen. Es braucht eine gewissen Vermittlungsarbeit, weil dieses Nichtverstehen blockiert im wesentlichen die Anerkennung, den Respekt und reproduziert im schlimmsten Falle die gegenseitige Kritik. Pädagogische Arbeit kann hier ansetzen und die helfen, die Herkunft der Empfindlichkeiten zu klären und vor allem die Möglichkeiten ihrer Überwindung auszuloten.
slo.at.: Es gibt ein Zitat vom Larcher. “Es gibt zwei Mentalitäten, die Mehrheit mit dem legitimistischen Geschichtsverständnis und die Minderheit mit dem heroischen Geschichtsverständnis, immer Opfer, immer geschlagen. Wer ist jetzt diese Instanz, die dieses Verstehen herstellt. Ich habe oft den Eindruck, dass wir in Kärnten auf einer gewissen Ebene in zwei Welten leben und der eine den anderen in Wirklichkeit wirklich nicht versteht und der andere empfindet das als Beleidigung und vice versa. Wer ist die Instanz, die hier diese Sensibilität in Diskussion einbringt?
Gombos: Ich hoffen, dass wir von der Universität einen Beitrag leisten und das Pädagogen, die sich da engagieren, einen Beitrag leisten. Ich möchte die Aufgabe noch ein bisschen klären: Ich glaube, es geht darum – und das halte ich doch für einen gewissen Paradigmenwechsel, zumindest für eine Änderung der Strategie – nämlich, dass man in einem ersten Schritt sehr stark lösungsorientiert denken sollte. Lösungsorientiert heißt, wenn potenzielle Teilnehmer an Bildung – also im Kindergarten die Kinder, in der Schule die SchülerInnen – , wenn man die Eltern an einem Tisch hat, wenn ein gemeinsames Ziel in der Zukunft geklärt ist, dann hat man schon so etwas wie eine gemeinsame Basis. Und wenn dann Probleme auftauchen, dann kann man retrospektiv aufarbeitend reagieren, aber immer dieses Ziel im Auge behaltend. Einer der Fehler in der Vergangenheit war, dass man meinte, man müsse zuerst aufarbeiten und dann könne man sich der Zukunft zuwenden. Wir müssen zuerst wissen, wohin wollen wir und mit wem sind wir bereit, diesen Weg zu gehen und dort versuchen, eine Beziehung über das Ziel herzustellen und dann im Bedarfsfalle retrospektive Aufklärungsarbeit machen. In diesem Zusammenhang ist das Hereinholen eines dritten Elementes anscheinend sehr hilfreich, um nicht mehr so leicht in die altbekannte dichotomische Dynamik von Wir und die Anderen oder von Opfer und Täter zu verfallen. Ein solches drittes Element stellen z.B. eine dritte Sprache oder die Vermittlungstätigkeit einer Person dar, die nicht einem der beiden Lager zuzuordnen sind.
slo.at.: Wird Ihre Habilitationsschrift wird auch veröffentlicht?
Gombos: Ja, sie wird im Frühjahr bei Drava erscheinen.
Slo.at.: Ich danke für das Gespräch.