Hans Haider: KÄRNTNER JÜDINNEN UND JUDEN

Teil 2
Deportation in das Ghetto von Riga in Lettland
In Riga, der 1940 von der Sowjetunion annektierten Hauptstadt Lettlands, lebten im Jahr 1935 43.600 Juden, was einem Bevölkerungsanteil von 11,3 Prozent entsprach. Unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 1. Juli 1941 erfolgten Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. Nach Einführung zahlreicher diskriminierender Verordnungen, nach Plünderungen und Massakern wurde im September/Oktober 1941 das mit einer Mauer umgebene Ghetto eingerichtet. Von Ende November bis Anfang Dezember 1941 wurden ca. 27.000 vor allem lettische Juden, darunter aber auch ca. 400 vorwiegend ältere Personen aus Wien, im Wald vom Rumbula erschossen. Auf diese Weise sollte Raum für neue Transporte aus Deutschland und Österreich geschaffen werden.
Aus Österreich erreichten am 3. Dezember 1941, am 11. und 26. Jänner und am 6. Februar 1942 Transporte mit insgesamt 4.200 Jüdinnen und Juden nach achttägiger Fahrt Riga. Die Deportierten wurden in das Ghetto eingewiesen oder mussten im Lager Salaspils Zwangsarbeit leisten. Aufgrund der furchtbaren Lebensbedingungen stieg die Sterblichkeitsrate der im Ghetto internierten Opfer, insbesondere bei geschwächten Menschen, vor allem aber bei älteren Personen und Kindern stark an. Als am 6. Februar 1942 der letzte von Wien nach Riga gesandte Transport eintraf, wurden beim Empfang am Bahnhof Skirotava jenen Menschen, denen der kilometerlange Fußmarsch zum Ghetto zu beschwerlich erschien, Lastkraftwagen – tatsächlich handelte es sich dabei um getarnte »Gaswagen« – zur Fahrt ins Ghetto angeboten. Von den 1.000 aus Wien Deportierten erreichten nur 300 Personen das Ghetto zu Fuß.
Nur ungefähr 800 der 20.000 nach Riga deportierten Männer, Frauen und Kinder haben die Selektionen, das Ghetto und die verschiedenen Konzentrationslager überlebt, darunter befanden sich auch ca. 100 österreichische Jüdinnen und Juden.
Unter den Opfern: Olga Löwy
Quelle: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes
Deportation nach Kielce in Polen
Am 19. Februar 1941 verließ ein Deportationstransport mit 1.004 jüdischen Männern, Frauen und Kindern den Wiener Aspangbahnhof mit dem Ziel Kielce, einer Stadt nördlich von Krakau. Kielce hatte einen beträchtlichen jüdischen Bevölkerungsanteil, der sich seit Kriegsbeginn durch Zwangsumsiedler aus anderen Teilen Polens weiter erhöht hatte. Die deportierten Wiener Juden wurden anfänglich bei jüdischen Familien privat einquartiert. Am 31. März 1941 wurde in Kielce das Ghetto errichtet. Es war mit Stacheldraht umzäunt und durfte bei Androhung der Todesstrafe nicht verlassen werden. Ende 1941 lebten ca. 27.000 Juden im Ghetto. Die arbeitsfähigen Männer wurden in Steinbrüchen zur Zwangsarbeit eingesetzt. Im Ghetto selbst konnten Schuster, Schneider und andere Handwerker ihrem Gewerbe nachgehen. Ca. 6.000 Personen starben im Zeitraum vom April 1941 bis April 1942 im Ghetto an Typhus; viele wurden erschossen, erhängt oder verhungerten.
Im August 1942 wurde das Ghetto, innerhalb weniger Tage, liquidiert und ca. 21.000 Juden wurden in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Die 2.000 im Ghetto Verbliebenen kamen in die nahe gelegenen Arbeitslager Pionki, Blizyn und Skarzysko Kamienna. Die letzte Deportation aus Kielce im August 1944 führte die wenigen jüdischen Häftlinge nach Auschwitz und Buchenwald. Von den 1.004 deportierten Wiener Juden überlebten 18 Personen.
Unter den Opfern: Berta Zeichner
Quelle: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes
Deportation in das KZ Theresienstadt in Tschechien
Theresienstadt, die Ende des 18. Jahrhunderts von Kaiser Josef II. gegründete Garnisonsstadt, war während der Zeit des Nationalsozialismus Gefängnis und Ghetto. Nordwestlich von Prag gelegen, diente die kleine Festung als Gestapogefängnis, während in der großen Festung ein Ghetto für 140.000 Jüdinnen und Juden eingerichtet wurde, die meist aus Böhmen und Mähren, aber auch aus dem »Deutschen Reich«, Österreich, den Niederlanden und Dänemark stammten. Das Ghetto unterstand der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag und diese wiederum dem Reichssicherheitshauptamt. Bewacht von tschechischen Gendarmen, wurde das Ghetto von der SS verwaltet und von den Österreichern Siegfried Seidl, Anton Burger und Karl Rahm geleitet.
Die Menschen im Ghetto lebten in der ständigen Angst vor der Deportation in eines der Vernichtungszentren Treblinka, Auschwitz und Maly Trostinec. Gleichzeitig waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen denkbar schlecht. Auch in Theresienstadt gab es einen von der SS eingesetzten Ältestenrat mit den einander folgenden Vorsitzenden Jakob Edelstein, Paul Eppstein und Benjamin Murmelstein. Sie wurden gezwungen, die Listen für die Deportationen zusammenzustellen, die Verteilung von Nahrung, Kleidung und Arbeit vorzunehmen und die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Dank der großen Anzahl von KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und WissenschafterInnen unter den Häftlingen gab es ein umfassendes kulturelles Leben im Ghetto, das von der SS geduldet und instrumentalisiert wurde. Als Ende 1943 die ersten Tatsachen über die Vernichtungsstätten weltweit bekannt wurden, beschloss die nationalsozialistische Führung, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz einen Besuch in Theresienstadt zu gestatten. In Vorbereitung dieses Ereignisses wurden Tausende Häftlinge nach Auschwitz deportiert, um die Überbelegung des Ghettos zu reduzieren. Der Delegation wurde im Juli 1944 die potemkinsche Fassade einer normalen Stadt vorgeführt, mit Scheingeschäften, Kaffeehäusern, Kindergärten, einer Schule und sogar einer Bank. Dieser Besuch änderte nichts an der Realität des Ghettos. Hunger, fehlende sanitäre Einrichtungen, mangelhafte Kleidung forderten zahlreiche Todesopfer. Von den ca. 140.000 Menschen, die nach Theresienstadt deportiert wurden, starben 33.000 im Ort, 88.000 wurden in die Vernichtungsstätten gebracht und dort ermordet. 19.000 waren noch am Leben, als das Ghetto am 7. Mai 1945 von der Sowjetarmee befreit wurde.
Für den größten Teil der Menschen, die in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurden, war das Ghetto, so sie nicht an den furchtbaren Lebensbedingungen zugrunde gingen, nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in die Vernichtungslager. Die Deportationen dorthin erfolgten in fünf Etappen:
1. Von Anfang Januar bis 8. September 1942 gab es 26 Transporte mit rund 26.000 Häftlingen nach Izbica, Lublin, Maly Trostinec, Riga, Zamosc, Piaski, Rejowiec, Warschau, Raasika, Minsk sowie weitere Orte.
2. In elf »Altentransporten« wurden zwischen dem 19. September und dem 22. Oktober 1942 19.004 Menschen, die in der Regel über 65 Jahre alt waren, in das Vernichtungslager Treblinka und nach Maly Trostinec deportiert und dort fast ausnahmslos ermordet. Nur drei überlebten.
3. Zwischen dem 26. Oktober 1942 und dem 1. Februar 1943 wurden in sechs Transporten 8.867 Personen nach Auschwitz deportiert. Dort wurden sie, wie in Auschwitz üblich, einer Selektion unterworfen. Die meisten gingen in die Gaskammern. Von den als »arbeitsfähig« Selektierten erlebten 124 die Befreiung.
4. Vom 6. September 1943 bis zum 18. Mai 1944 wurden in acht Transporten 17.570 Theresienstädter Häftlinge in das so genannte »Familienlager« in Auschwitz-Birkenau gebracht. Sie mussten die Selektion nicht durchlaufen, wurden jedoch, soweit sie nicht im Lager starben oder als »Arbeitsfähige« in andere Konzentrationslager deportiert wurden, in der Nacht vom 8. zum 9. März 1944 oder zwischen dem 10. und 12. Juli 1944 in den Gaskammern ermordet. 1.167 Häftlinge überlebten.
5. In elf Transporten wurden zwischen dem 28. September und dem 28. Oktober 1944 weitere 18.402 Personen nach Auschwitz-Birkenau deportiert, von denen 1.574 überlebten.
Neben diesen Großtransporten erfolgten auch kleinere Deportationen, deren Zielorte zum Teil nicht bekannt sind, vier dieser Transporte gingen nach Bergen-Belsen.
Von den über 15.000 ÖsterreicherInnen, die von Wien, aber auch von Böhmen und Mähren nach Theresienstadt deportiert wurden, verstarben ca. 6.200 dort, ca. 7.500 wurden in die Vernichtungslager weiterdeportiert.
Unter den Opfern: Ernst Fischl, Emanuel Neumann, Mathilde Neumann, Felix Preis.
Quelle: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes
Konzentrationslager Buchenwald
Das Konzentrationslager Buchenwald wurde im Juli 1937 eröffnet und lag am Rand der Stadt Weimar auf dem Ettersberg. Das Lager wurde von Häftlingen errichtet. Die ersten Häftlinge waren politische Gegner, Zeugen Jehovas, Kriminelle und zunächst nur vereinzelt jüdische Häftlinge. Die Lebensbedingungen der jüdischen Häftlinge war deutlich schlechter, ihre Sterblichkeitsrate lag stets höher als die der anderen Gefangenen. Im September 1938 wurden mehrere tausend Juden von Dachau nach Buchenenwald verlegt und nach der »Reichskristallnacht« vom November 1938 wurden 9828 Juden eingeliefert, von denen die meisten mit der Auflage Deutschland zu verlassen wieder freigelassen wurden. Bis Kriegsbeginn arbeiteten die Häftlinge vorwiegend im Lageraufbau und im lagereigenen Steinbruch. Ab 1941 wurde das Lager immer mehr ein Ort des Massenmords und des Sterbens. Kranke Häftlinge wurden in großer Zahl direkt im Lager durch Injektionen ins Herz getötet. Ab Ende 1941 wurden mehrere tausend sowjetische Kriegsgefangene durch Genickschuss ermordet. Im Oktober 1942 wurden auf Befehl Himmlers die meisten jüdischen Häftlinge nach Auschwitz deportiert. Die letzten Monate des Krieges waren durch Überfüllung des Lagers sowie durch Seuchen- und Erschöpfungstod der Gefangenen gekennzeichnet. Am 11. April 1944 hat die SS das Lager verlassen und ein Häftlingskomitee hat die Kontrolle übernommen. Am gleichen Tag trafen die amerikanischen Truppenverbände ein, die die restlichen 21.000 Überlebenden, darunter etwa 1000 Kinder und Jugendliche, befreiten. Von den schätzungsweise 240.000 Häftlingen des KZ Buchenwald liegt die Opferzahl bei mindestens 50.000 Menschen.
Unter den Opfern: Samuel Linker, Alfons Neumann.
Quellen: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, herausgegeben von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß, 3. Auflage 1998, dtv, ISBN 3-423-33007-4.
Konzentrationslager Sachsenhausen
In den Jahren 1936/37 wurde das Konzentrationslager Sachsenhausen in einem Ortsteil von Oranienburg von Häftlingen errichtet. Nach Beendigung des Lageraufbaus im Dezember 1937 verlagerte sich die Bautätigkeit auf die Errichtung einer Ziegelei im Hafenbecken an der Lehnitz-Schleuse. Die Arbeitsbedingungen waren sehr schlecht. Vor allem Juden, Sinti und Roma sowie Homosexuelle wurden bei der Arbeit zu Hunderten zu Tode geschunden, über die Postenkette gejagt und dabei erschossen oder totgeschlagen. Das KZ Sachsenhausen diente zugleich als Ausbildungsstätte für KZ-Führungspersonal und Wachmannschaften. Hier wurde die Systematik des Terrors in Theorie und Praxis weiterentwickelt.
Im Zuge der »Reichskristallnacht« im November 1938 wurden 6000 Juden in Sachsenhausen eingeliefert. Ende 1938 war das Lager trotz Entlassung von jüdischen Häftlingen, die Ausreisepapiere vorweisen konnten, völlig überfüllt. Nach Kriegsbeginn kamen noch weitere Gefangenenkontingente hinzu. Ende 1939 betrug die Lagerstärke bereits über 12.000 Häftlinge. Mit der stärkeren Einbeziehung der Konzentrationslager in die Kriegswirtschaft stieg die Häftlingszahl erneut stark an. Insgesamt betrug die Anzahl der Häftlinge einschließlich der Außenlager des KZ Sachsenhausen 200.000 Menschen aus über 40 Nationen.
Ab 1941 wurden Im KZ Sachsenhausen ca. 18.000 nicht registrierte sowjetische Kriegsgefangene ermordet. Als das KZ Sachsenhausen am 22. April 1945 von sowjetischen und polnischen Truppen befreit wurde, trafen sie im Lager ungefähr 3000 von der SS zurückgelassene Häftlinge an. Insgesamt 33.000 Häftlinge waren in den Tagen zuvor von der SS in Marschkolonnen zu je 500 Gefangenen Richtung Ostsee getrieben worden. Fast 6000 von ihnen starben bei diesen Todesmärschen. In den ersten Maitagen 1945 wurden die Überlebenden im Raum zwischen Ludwigslust und Schwerin von amerikanischen Truppen befreit. Die Gesamtzahl der Todesopfer im Konzentrationslager Sachsenhausen wird auf 100.000 Menschen geschätzt.
Unter den Opfern: Friedrich Klinger
Quellen: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, herausgegeben von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß, 3. Auflage 1998, dtv, ISBN 3-423-33007-4.
Vernichtungslager Treblinka in Polen
Im Vernichtungslager Treblinka, im nordöstlichen waldreichen und bevölkerungsarmen Teil des »Generalgouvernements«, wurden im Zuge der »Aktion Reinhard« vom Juli 1942 bis zur Schließung des Lagers im Herbst 1943 ca. 870.000 Menschen überwiegend jüdischer Herkunft, aber auch Roma und Sinti ermordet. Wie die Lager Sobibor und Belzec maß das Lager 400 mal 600 Meter und war von zwei Stacheldrahtzäunen umgeben, die zur Tarnung mit Zweigen versehen waren. Das Lager war in drei Bereiche aufgeteilt: für Unterkünfte, für die Ankunft der Transporte und für den Vernichtungsprozess.
Nach ihrer Ankunft kamen die Opfer in die nach Geschlechtern getrennten Auskleidebaracken. Hier mussten sie Kleidung, Geld und Wertgegenstände abgeben, ab Herbst 1942 wurden den Frauen die Haare geschoren. Durch den so genannten »Schlauch«, einen etwa fünf Meter breiten und ca. 90 Meter langen Weg, wurden die Häftlinge, zuerst Frauen und Kinder, dann die Männer, von den Auskleidebaracken nackt in die Gaskammern getrieben, wo Kohlenmonoxyd eingeleitet wurde. Nach dem Zubau weiterer Gaskammern im September 1942 wurden innerhalb von ein bis zwei Stunden bis zu 3.500 Menschen ermordet. Anfänglich wurden die Leichen in Massengräbern verscharrt, ab Frühjahr 1943 auf Rosten aus Eisenbahnschienen verbrannt, um die Spuren des Massenmordes zu beseitigen.
Zwischen 5. und 22. Oktober 1942 wurden in fünf Transporten ca. 8.000 Juden aus Theresienstadt nach Treblinka deportiert. Etwa 3.100 von ihnen stammten aus Österreich. Die Gesamtzahl der aus Österreich kommenden Opfer des Vernichtungslagers Treblinka ist schwer festzustellen. Der aus Österreich stammende Lagerkommandant von Treblinka, SS- Obersturmführer Franz Stangl, wurde 1970 in Düsseldorf zu lebenslanger Haft verurteilt.
Unter den Opfern: Rosa Lilian, Emilie Litassy, Ella Osetrmann.
Quelle: Dokumentationsarchiv de Österreichischen Widerstandes
Deportation nach Nisko in Polen
Der Kriegsausbruch am 1. September 1939 beschränkte die Möglichkeiten zur weiteren Flucht und Vertreibung der Juden aus dem »Deutschen Reich«. Da die nationalsozialistische Führung weiter an ihrer Forderung, das »Reich judenrein« zu machen, festhielt, plante Adolf Eichmann, Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien, die seit August 1938 die Vertreibung der Juden forciert hatte, die Schaffung eines »Judenreservates« im Gebiet östlich von Nisko am Fluss San an der Grenze des »Generalgouvernements«. Obschon dieser Plan nicht mehr realisiert wurde, ließ der Chef des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) Reinhard Heydrich, dem von Reichsführer SS Heinrich Himmler die Organisation der Zwangsumsiedlung übertragen worden war, Deportationstransporte aus Wien und Moravska Ostrava/Mährisch Ostrau nach Nisko zusammenstellen.
Im Rahmen dieser Aktion gelangten von Wien aus zwei Transporte nach Nisko, der erste am 20. Oktober 1939 mit 912 und der zweite am 27. Oktober 1939 mit 672 Männern. Die Erstellung der Liste von 1.000–2.000 »Auswanderern« wurde der Israelitischen Kultusgemeinde übertragen. Die »Interessenten« für diesen Transport wurden jedoch bewusst getäuscht: Die IKG wurde genötigt, in einer Aussendung an die jüdische Bevölkerung den betroffenen Personen einen weitgehenden Handlungsspielraum zum Aufbau einer neuen Existenz zuzusichern.
Die Realität in Nisko sah anders aus: Nur ein kleiner Teil der aus Wien Deportierten, etwa 200 Männer, gelangte in das Lager, wogegen die Mehrheit unter Abfeuerung von Schreckschüssen über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie gejagt wurde. Die meisten dieser Deportierten bemühten sich bei den sowjetischen Behörden um Rückkehrmöglichkeiten nach Wien, weshalb sie der NKWD, die stalinistische Geheimpolizei, als politisch »unzuverlässig« einstufte und in Zwangsarbeitslager verbrachte. Aus diesen Lagern kehrten bis 1957 nur etwas mehr als 100 Männer nach Wien zurück.
Nach dem Abbruch der Gesamtaktion wurden im April 1940 von den in Zarzecze bei Nisko als Personal zurückbehaltenen Männern 198 nach Wien zurückgeschickt – viele von ihnen wurden mit späteren Transporten neuerlich deportiert.
Unter den Opfern: Max Fellner
Quelle: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes
DIE REICHSKRISTALLNACHT IM NOVEMBER 1938
Schon in den ersten Tagen, nach dem sogenannten »Anschluss an das Deutsche Reich« im März 1938, brach über die österreichischen Juden eine Welle der Gewalt herein. Jüdinnen und Juden wurden gedemütigt, verspottet, geschlagen, verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Dies alles geschah unter den Augen der Bevölkerung, die in ihrer Mehrheit dem nicht widersprach. Einen dramatischen Höhepunkt erreichte dieser Prozess in der Nacht vom 9. auf den 10. Nov. 1938, während der sogenannten »Reichskristallnacht«.
Der 17jährige Jude Herschel Grynszpan, dessen Eltern Ende Oktober 1938, zusammen mit 12000 Jüdinnen und Juden, nach Polen deportiert wurden, verübte am 7. November 1938 in Paris ein Schussattentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath. In einer Abschiedskarte an seine Eltern schreibt er:
„ Meine lieben Eltern! Ich konnte nicht anders tun, soll Gott mir verzeihen, das Herz blutet mir wenn ich von eurer Tragödie und 12000 anderen Juden hören muss. Ich muss protestieren, dass die ganze Welt meinen Protest hört, und das werde ich tun, entschuldigt mir“.
Herschel Grynszpan wird vorerst von der französischen Polizei inhaftiert und kommt später in das KZ Sachsenhausen. Der Todeszeitpunkt und die näheren Umstände seines Todes sind ungeklärt. Seinen Eltern gelingt die Flucht in die Sowjetunion und sie überleben den Holocaust.
Am Nachmittag des 9. Novembers stirbt Ernst von Rath und noch am selben Abend hält Propaganda Minister Göbbels eine antijüdische Hetzrede in der er die Bevölkerung zu Aktionen gegen Jüdinnen und Juden aufmuntert. Anschließend gaben die SA-Führer von München aus entsprechende telephonische Anweisungen an ihre Mannschaften durch und in der Folge kam es im gesamten Deutschen Reich, organisiert von den Nationalsozialisten, zu einer ungeheuren Welle der Gewalt gegen Jüdinnen und Juden. Die gesamte jüdische Bevölkerung wurde einem beispiellosen Terror ausgesetzt. Beinahe alle Synagogen wurden zerstört und niedergebrannt, die Schaufenster jüdischer Geschäfte wurden eingeschlagen und die Geschäfte wurden geplündert.
Die Ausschreitungen waren der Höhepunkt der Angriffe auf Jüdinnen und Juden in Deutschland und in Österreich nach dem Anschluss im März 1938. Die Aktionen wurden von den Parteistellen angeordnet und von SA-Verbänden und HJ-Gruppen durchgeführt. Etwa 30 000, vor allem einflussreiche und wohlhabende Juden, wurden festgenommen und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen eingeliefert. Hunderte von ihnen sind in den Konzentrationslagern zu Tode geschunden worden.
In Österreich begannen die Ausschreitungen einen Tag später am Morgen des 10. November. 4600 Wiener Juden wurden nach Dachau deportiert. Auch in Kärnten, vor allem in Klagenfurt und Villach, kam es am 10. und 11. November 1938 zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden und deren Eigentum. Zerstörung von Besitz, Enteignung und tätliche Attacken prägten auch in Villach und Klagenfurt das Bild dieser Tage. Der Zeitzeuge Anton Engelhart aus Villach erinnert sich:
„Der Hauptplatz war voller Menschen. Ein unglaublicher Tumult. Auf dem Sockel der Pestsäule sind Jugendliche gestanden, die immer wieder geschrieen haben: Hoch hänge der Jude am Laternenpfahl! Und Jude verrecke im eigenen Drecke!“
Umstritten ist bis heute, ob die »Reichskristallnacht« improvisiert oder geplant war. Die hier veröffentlichten Dokumente jedoch, welche die Situation im Bezirk Villach und teilweise auch im Land Kärnten widerspiegeln, zeigen deutlich eine genaue Planung der Ausschreitungen. Erstmals wurde der Bevölkerung die Verfolgungspolitik und Brutalität des NS-Regimes direkt vor Augen geführt. Das Ausmaß der Barbarei übertraf alles Bisherige. Die Hoffnung, mit der Zeit würde die Hetze gegen die Juden nachlassen, war nun endgültig gebrochen. Nun war klar, es wird kein Entrinnen geben. Wer Jude oder Jüdin war saß endgültig in der Falle. Das ganze Reich war Feindesland, war Todeszone. Das Judenpogrom November 1938 war der Auftakt zum bürokratisch organisierten und fabriksmäßig durchgeführten Massenmord an Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma und behinderten Menschen.
Quelle: Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten, alpe adria 4/98. Wolfgang Benz, Hermann Grami, Hermann Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, dtv, 1997. Moishe Postone, Nationalsozialismus und Antisemitismus, ein theoretischer Versuch. Wolfgang Scheffler, Judenverfolgung im Dritten Reich. Eberhard Jäckel, Peter Longerich, Julius H. Schöps, Enzyklopädie des Holocaust. Hans Haider, Nationalsozialismus in Villach, Edition kärnöl, ISBN 978-3-902005-99-1.
INTERVIEWS, DOKUMENTE, BERICHTE
Abschrift der Anzeige von Leon Zwerling, eingebracht im Oktober 1945, wegen der Verwüstung seiner Wohnung anlässlich des Villacher Judenpogroms im November 1938.
Bezirksgericht Villach; Abt. 1, den 21. Okt 1945; Gegenwärtig: Dr. Felber
Es erscheint Herr Leon Zwerling, Bahnbeamter i. R. in Villach, Oberer Heidenweg Nr. 34
und erstattet folgende Anzeige:
Ich war bis April 1939 Eigentümer des Hauses Villach, Oberer Heidenweg Nr. 34. Da ich Volljude bin, wurde ich vom Finanzamt Villach veranlasst, das Haus zu verkaufen. Am 16. Nov. 1942 bin ich über Auftrag der Gestapo nach Wien übersiedelt, von wo ich am 11. Okt. 1945 wieder zurückgekehrt bin.
Am 10. November 1938 um ca. 4 Uhr nachmittags erschien in meinem Haus Villach Oberer Heidenweg Nr. 34 der Kaufmann F. W. Villach Peter Roseggerstrasse 9, der Malermeister F. M. Villach Meerbothstrasse Nr. 1, der Arbeiter H. L. Villach Rennsteinerstrasse Nr. 10, ein gewisser H. T. dzt. Wohnhaft in Radenthein und der Jugendliche J. L. Ich war damals gerade im Garten beschäftigt. Einer von den angeführten Personen sagte mir, zuerst, der Sturmführer wolle mich sprechen.
Der Malermeister Friedrich Meier, gab sich mir gegenüber als Sturmführer aus und forderte mich mit den Worten „Jude gib die Waffen heraus“ auf zur Waffenabgabe. Ich erwiderte, dass ich keine Waffen habe und dass sie beruhigt meine Wohnung nach solchen durchsuchen können. Es begaben sich dann alle Vorgenannten in meine Wohnung im ersten Stock. Auf die neuerliche Aufforderung zur Herausgabe von Waffen, beteuerte ich keine zu besitzen, worauf Friedrich Meier das Kommando los gab. Alle 5 Personen, die gegen meinen Willen in meine Wohnung eingedrungen waren, machten sich dann daran, meine Wohnungseinrichtung zu zerstören. Es dauerte kaum eine halbe Stunde und fast meine gesamte Wohnungseinrichtung von 2 Zimmern, 1 Küche, 1 Speis und eines Badezimmers waren demoliert. Die genannten haben nicht nur Einrichtungsgegenstände, sondern auch Geschirr, Lebensmittel und dergleichen vernichtet. Ich schätze den mir daraus erwachsenen Schaden auf mindestens 6 bis 8 000 Schilling. Nach diesem Zerstörungswerk sind sie wieder fort und haben hinter sich die Wohnungstür abgesperrt und den Schlüssel von außen stecken lassen, sodass ich mit meiner Frau genötigt war, die Wohnung durch herablassen der Küchenbalken zu verlassen. Meine Frau und ich wurden bei diesem Anlass mit den Worten Saujud, Judenweibl und ä. beschimpft. Wir haben uns über diese mutwillige Zerstörung unseres Eigentums sehr aufgeregt. Meine Frau ist 66 Jahre alt und ich bin schon 75 Jahre. Ich bin in der Lage mehrere Zeugen über diesen Vorfall anzuführen.
In der Folge musste ich mit meiner Frau, da wir gar keine Betten hatten, mehrere Tage auf den Boden liegen. Später erhielten wir von Verwandten Betten und Geschirr. Wir besaßen mehrere Service, die ebenso zerschlagen wurden. Außerdem wurden u. a. 53 Gläser mit Eingekochten vernichtet.
Ich bitte gegen die 5 Vorgeführten Personen das Strafverfahren wegen Verbrechen des Hausfriedensbruches, Einschränkung der persönlichen Freiheit und der boshaften Sachbeschädigung einzuleiten.
Ich schließe mich dem Strafverfahren vorläufig mit Schadenersatzansprüchen in der Höhe von S. 8000.- als Privatbeteiligter an.
Meine Frau hat infolge der Aufregung einen Nervenzusammenbruch erlitten und war mehrere Wochen krank und bettlägrig.
Quelle: Landesgericht Klagenfurt, Strafakten Sch 196 Vr 463-46
Auszüge aus der Vernehmungsprotokoll des Beschuldigten Friedrich Meyer
Abschrift:
[…] Ich bekleidete bei der SA in Villach den Rang eines Sturmführers. Am l0.November 1938, als ich von der Arbeit nachhause kam, lag auf dem Tisch in meiner Wohnung ein schriftlicher Auftrag, der von einem Melder der SA-Standarte Villach überbracht wurde, auf welchem geschrieben stand, dass ich mich unverzüglich bei der Standarte der SA einzufinden habe. Ich begab mich auftragsgemäß zur SA-Standarte in Villach, Kernstockstrasse. Dort habe ich vom seinerzeitigen Obersturmführer der SA Huber Franz den Auftrag erhalten, in die Wohnung des Leon Zwerling zu gehen u. dort unter den Vorwand nach Waffen zu suchen, in die Wohnung desselben Einlass zu erlangen u. dort die Wohnungseinrichtung u.s.w. zu zerstören. Huber erklärte mir bei diesem Auftrag, dass gegen die Juden eine große Aktion in Vorbereitung sei. Huber erklärte mir weiters, dass ich einige Männer der SA verständigen möge, die bei dieser Aktion teilzunehmen haben. Auf Grund dieses Befehles suchte ich einige Männer der SA zusammen.
[…] Wir begaben uns denn in die Wohnung des Zwerling. Ich hatte den Auftrag die ganze Aktion zu leiten. Ich erklärte Zwerling der gerade im Garten arbeitete, dass ich mit den anderen Männern den Auftrag habe bei ihm eine Haussuchung vorzunehmen bzw. nach Waffen zu suchen. Zwerling begab sich mit uns sogleich in seine Wohnung. Auf dem Weg dorthin erklärte mir Zwerling, dass er keine Waffen besitze. Ich habe den 3 SA-Männern auf dem Wege bereits erklärt, was in der Wohnung des Zwerling zu machen ist, dabei gab ich ihnen den Auftrag alles was in der Wohnung ist zu zerstören. Wir gingen alle in die Wohnung des Zwerling und begannen dort mit der Zerstörung der Wohnungseinrichtung und dgl.
[…] Während meines Aufenthaltes in der Küche habe ich gehört, wie Kästen umfielen und auch noch andere Gegenstände auf den Boden geworfen wurden. Als die Zerstörung im Schlafzimmer beendet war, kamen alle in die Küche. Ich selbst habe mich an der ZerstörZerstörung des in der Küche vorhandenen Geschirrs beteiligt. Bemerken möchte ich, dass in der Küche selbst nur ich allein die Gegenstände zerstört habe. Die Zerstörung beschränkte sich nur auf das Schlafzimmer und die Küche. In den übrigen Räumen wurde nichts beschädigt. Es kann möglich sein, dass während der Zerstörungsaktion einige Schimpfworte gefallen sind. Ich glaube, dass jeder von uns einige dieser Worte wie Judenweibl, Saujuden u.s.w. gebraucht hat.
[…] Ich bin mir meiner Schuld vollkommen bewußt u. sehe auch ein, dass wir uns in der Wohnung nicht menschlich benommen haben. Ich stehe für meine unrechtmäßige Handlungsweise vollkommen ein.
[…] Ich stelle richtig, dass auch im Wohnzimmer Sachen beschädigt wurden.
Quelle: Landesgericht Klagenfurt, Strafakten Sch 196 Vr 463/46
Abschrift der Aussagen von Wilhelm Gornik, Ehemann von Maria Gornik, die als Villacher Jüdin von den Nazis deportiert wurde und 1942 von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet wurde.
Nachstehende Personen, welche ich als Kriegsverbrecher betrachte, gebe ich hier an und stehe zu jeder Zeit gerne zur Verfügung um weitere und genaue Auskunft zu erteilen.
Ludwig Hecher, Villach, Wolfram von Eschenbachstrasse Nr. 18 als Haupt der Organisation mit Therese Bialowas, Villach, Kiesweg Nr. 11, Maria Plattner, Villach, Max Seuniggstrasse Nr. 17 sowie Stefanie Raunjak, Max Seuniggstrasse Nr. 29, haben täglich bei der Kapelle bei der Firma Teich, Villach, Ghonallee, Versammlungen über meine Frau und über mich abgehalten und beschlossen, wie sie mich und meine Frau ins KZ bringen könnten.
Meine Frau haben die angeführten Personen ins KZ gebracht, wo sie, wie mir selbst die Gestapo mitgeteilt hat, am 16. Oktober 1942 ermordet wurde. Also haben diese Verbrecher meine Frau auf dem Gewissen.
Ludwig Hecher konnte sich als Nazi nicht genug rühmen und ging jede Nacht von Fenster von Fenster lauschen, ob nicht irgend jemand Auslandsender horcht. Zum Zeugen, Herrn Weltlich Karl sagte er, er werde auch seinen Bruder anzeigen, sollte er hören, dass er Auslandsender hört.
Ludwig Hecher und der Gastwirt Dürnegger, Villach Auen, welcher sich stets rühmte nur er und seine Tochter sind die einzigen richtigen Nazi in den Auen, diese beiden Männer haben des öfteren durch den Blockwart Olbin, welcher ein geheimer versteckter Spitzel war, gegen mich Anzeige erstattet, dass bei mir in meinem Geschäft, welches ich nachher im Auftrage des Kreisleiters Piron schliessen musste, jede Nacht kommunistische Versammlungen abgehalten werden und ich bin nur noch an einem Haar gehängt, so wäre ich ebenfalls ins KZ geschickt worden. Dies weiss ich ganz genau, da man es mir bei der Gestapo in Klagenfurt mitteilte.
Frau Streinig, Inhaberin der Lottokollektur, Villach Widmanngasse, hat gleich nach dem Einmarsch der Deutschen meine Frau angezeigt und falsche Tatsachen der Gestapo mitgeteilt, meine Frau horche jeden Tag das Ausland, worauf meine Frau sofort verhaftet und unser Radio, welches mir 400.- Schilling gekostet hat, beschlagnahmt wurde und ich erhielt es nie mehr zurück. […]
Herr und Frau Högl, welche ein Tuchgeschäft in der Paracelsusgasse führten, hielten immer im Geschäft Naziversammlungen ab, und weil wir es immer sahen und hörten hatten sie natürlich einen Zorn auf uns ,und deshalb wurde auch meine Frau von dieser Nazi auf offener Strasse angespuckt, wenn sie meine Frau auf der Strasse sah und schrie jedes Mal „pfui Teufel Saujüdin“.
Die ganze Familie Wenger, wo ich 19 Jahre wohnte, samt der alten Hausgehilfin Menie, hatten mich noch vor der Demolierung meiner Wohnung gerichtlich gekündigt mit der Angabe, sie , die Wenger könnten nicht mit einer Jüdin unter einem Dach wohnen, obwohl sie 19 Jahre wussten, dass meine Frau von Juden abstammt. Die Familie Wenger ist es auch gewesen, die mir meine ganze Wäsche gestohlen hat, als die Nazis meine Wohnung demolierten. […]
Frau Pollak Poldi, die Tochter der Weinhandlung Puffitsch hat mit Hilfe des Kellners Pfannhauser und der Kassierin Maltschi Adamitsch, mich und meine Frau vom Parkkaffee hinauswerfen lassen, weil meine Frau eine Jüdin war und kein Kaffee besuchen durfte, obwohl ich mit meiner Frau r. k. verheiratet war. […]
Quelle: Aussage vom 18. Juni 1945 im Archiv der SPÖ Bezirksorganisation Villach
Herr Otto Friessner aus Villach erinnert sich.
Mein Vater war Eisenbahner, Schmied von Beruf. Meine Mutter kam vom Bauernhof.
Mit 6 Jahren bin ich zu den Kinderfreunden gegangen und dann später zu den roten Falken. Unser Erzieher war Alois Buttinger. Wir trafen uns immer im „Sonnenhof Lind“ 1936 wurde ich ausgeschult und 1937 bekam ich eine Lehrstelle beim Konsum.
Als es im März 1938 zum sogenannten Anschluß kam wurde der Konsum sofort aufgelöst. Es erfolgte eine Umbenennung in Verbrauchergenossenschaft und ein kommissarischer Leiter wurde eingesetzt. Am ersten September 1939, als der Krieg ausbrach, bin ich mit 17 Jahren Leiter der „Konsum-Filiale“ in Lind geworden. Nach dem Anschluß hat sich im Konsum eine Widerstandszelle gebildet. Ich erinnere mich noch an die Genossen Janz, Traninger Paul, Zwitter Valentin, Schicho Anton. Vor allem sammelten wir Geld für in Bedrängnis geratene Genossen. Auch mit Lebensmittel haben wir geholfen. Es gab immer ein „schwarzes Lager“ mit Lebensmitteln. Unsere Kontaktperson, der wir immer unsere Spenden übergaben, war Genosse Populorum, später SPÖ-Stadtrat von Villach.
Im Jahre 1941 bin ich eigerückt. Zuerst kam ich zum Reichsarbeitsdienst (RAD), dann zur Wehrmacht. 1945 geriet ich in französische Kriegsgefangenschaft.
An das Judenpogrom im November 1938, die sogenannte „Kristallnacht“, kann ich mich recht gut erinnern. Ich bin damals um 15 Uhr 30 mit dem Rad zur Arbeit gefahren. Als ich in die Peraustraße einbog sah ich wie beim Notar Weissberger verschiedene Sachen aus dem Fenster geschmissen wurden. Ein großes Klavier, das nicht durch das Fenster passte, zerschlug man zuerst und warf dann die einzelnen Teile herunter. Dabei wurde geschrien und gejohlt. Ich bin dann weitergefahren in die Italienerstraße zum Fischbach. Auch hier bot sich mir ein Bild der Verwüstung. Unter dem Gejohle einer Menschenmenge wurde buchstäblich alles, Bettwäsche, Bilder, Geschirr, usw., aus dem Fenster geschmissen. Am Abend bin ich mit dem Fahrrad über den Hauptplatz nach Hause gefahren. Das Geschäft des Juden Filip Lilian am unteren Hauptplatz war ebenfalls ausgeplündert. Viele Sachen sind auf dem Platz herumgelegen. Der Herr Lilian ist vor dem Geschäft auf einem Rucksack gesessen und hat geweint. Daran kann ich mich noch ganz genau erinnern. Gleich nach dem „Anschluß“, noch im März 1938, sind alle „jüdischen Geschäfte“ gekennzeichnet worden, indem man „JUDE“ auf das Geschäft hinaufschrieb. Es war verboten bei einem Juden einzukaufen. Leute, die es trotzdem wagten, stellte man zur Rede. Einmal habe ich beobachtet wie man drei oder vier Leute, es waren keine Villacher, den Hauptplatz hinunter führte. Sie hatten alle eine Tafel umgehängt auf der geschrieben stand: „Dieses arische Schwein kauft bei einem Juden ein“.
Quelle: Aufzeichnung eines Gesprächs mit dem Autor im Oktober 1998
Anmerkung zur Person „Filip Lilian“
geboren am 20. Jänner 1881 in Galizien
zuletzt wohnhaft in Villach Italienerstraße 15
Lilian, von Beruf Kaufmann, hatte ein kleines Geschäft auf dem Hauptplatz in Villach. Am 12. September 1909 Eheschließung mit Luzia Hauslich aus Wien geb. am 5. Juni 1883. Das Ehepaar hatte drei Söhne, die in Villach die Richard-Wagner Schule besuchten. Ignaz geb. 2. 2. 1911. Josef geb. 25. 6. 1915. Leo geb. 17. 2. 1918.
Trotz Nachforschung ist über das Schicksal der Familie Lilian nichts bekannt.
Quelle: Heimatrolle (Standesamt Villach). Gespräch mit Leopold Rovensky (Schulkamerad von Leo Lilian in der Richard-Wagner Schule)
Herr Engelhart Anton aus Villach erinnert sich an die Reichskristallnacht
Im Jahre 1938 bin ich in die 2. Klasse Hauptschule gegangen – in die Richard Wagner Schule. Gewohnt haben wir in Tarvis. Mein Vater war Eisenbahner und hat in Villach gearbeitet. Ich bin immer mit dem Zug hin und her gefahren. Einen Tag haben wir Vormittagunterricht gehabt und am nächsten Tag Nachmittagunterricht.
An jenem Tag haben wir Nachmittagunterricht gehabt. Als wir in die Schule gekommen sind hat der Schulwart zu uns gesagt:“ Heut ist kein Unterricht, heute ist Judenverfolgung.“ Wir sind also gleich in die Stadt gegangen. Beim Fischbach in der Italienerstraße, gegenüber dem Buchmarkt „Libro“, haben wir zugeschaut wie Sachen aus dem Fenster im 1. Stock herausgeflogen sind. Es waren SA-Leute in Uniform, die das gemacht haben. die SA-Männer sind von hinten über den Hof mit einer Leiter eingedrungen. Alles wurde auf die Straße hinuntergeschmissen: Bücher, Geschirr, Silberbesteck, Bettwäsche, Lebensmittel, auch die Vorhänge wurden heruntergerissen. Was nicht durch das Fenster gepasst hat, ist zuerst zertrümmert worden. Zum Schluß sind große Stoffballen heruntergeschmissen worden. Viele, die sich daran beteiligt haben, und keine SA Uniform gehabt haben, haben eine schwarze Hose, ein weißes Hemd mit einer Hakenkreuzbinde und eine schwarze Krawatte angehabt.
Öfter habe ich Frau Fischbach beim Fenster gesehen. Eine zweite Frau ist auch oben gewesen. Die ist ihr beigestanden und hat sie getröstet. Dann bin ich weitergegangen. Beim Glesinger (Oberer Kirchenplatz) sind auch die Sachen auf der Straße gelegen. Eine Leiter war beim Fenster angelehnt. Neben der Buchhandlung Pfanzelt (westlich) war ein kleines Geschäft. Dort wurde eine Frau herausgeschliffen und zur Gestapo hinuntergeführt. Warum das weiß ich bis heute nicht. Der Hauptplatz war voller Menschen. Ein unglaublicher Tumult. Auf dem Sockel der „Pestsäule“ sind Jugendliche gestanden, die immer wieder geschrien haben: „Hoch hänge der Jude am Laternenpfahl.“ und „Jude verrecke im eigenen Drecke“. Daran kann ich mich ganz genau erinnern.
Quelle: Aufzeichnung eines Gesprächs mit dem Autor im September 1998
Zeitungsbericht: Eine spontane antisemitische Volkskundgebung.
Die Nachricht vom Ableben des Gesandschaftsrates von Rath, auf den in Paris von einem feigen jüdischen Mordbuben ein Attentat verübt wurde, hat auch unter der Villacher Bevölkerung tiefste Empörung hervorgerufen. In der mittägigen Freizeit sammelten sich tausende und aber tausende Volksgenossen auf dem Adolf-Hitler-Platz und gaben durch Sprechchöre ihrem Abscheu vor dem jüdischen Meuchelmord Ausdruck. Die Empörung unter den Villacher Volksgenossen war so groß, dass sie sich nach der Kundgebung in antijüdischen Aktionen Luft machte.
Quelle: Kärntner Grenzruf, 11. 11. 1938, S. 7, zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten.
Zeitungsbericht: Judenfeindliche Kundgebung in Klagenfurt am 11. November 1938
lm Anschluss an das Bekanntwerden vom Ableben des Gesandtschaftsrates von Rath der Botschaft in Paris kam es – wie bereits gemeldet – sowohl im Altreich als auch in der Ostmark in verschiedenen Orten zu spontanen Demonstrationen gegen das Judentum. Die empörte Bevölkerung machte ihrer judenfeindlichen Stimmung durch Umzüge, Zusammenrottungen und Sprechchöre Luft. In Wien, Graz und anderen Städten wurden auch mehrere jüdische Synagogen angezündet
In Klagenfurt war in den gestrigen Morgenstunden der Tempel zerstört worden. Im Laufe des Tages kam es in der Stadt wiederholt zu judenfeindlichen Kundgebungen. Besonders am Mittag versammelte sich auf dem Adolf-Hitler-Platz eine große Menschenmenge. Ein Redner geißelte in schärfster Weise die verbrecherische Tat des Juden Grünspan, für die nicht Grünspan allein, sondern das gesamte Weltjudentum verantwortlich zu machen ist.
Auf Anordnung des Reichskommissars Gauleiter Bürckel wurden bei zahlreichen Juden Hausdurchsuchungen vorgenommen, die erhebliche Mengen von Waffen, kommunistischem Hetzmaterial sowie unangemeldete Devisen zutage förderten. […]
Quelle: Kärntner Grenzruf, Amtliche Tageszeitung der NSDAP Gau Kärnten, Jg. 1 Nr. 62, 12. 11. 1938, S. 6, zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten.
Zeitungsbericht: Auf einer antijüdischen Großkundgebung in Klagenfurt am 11. November 1938 ergriff der Kreisleiter Dr. Pachneck das Wort und sagte:
[…] Unsere Geduld ist zu Ende. Es ist selbstverständlich, dass zornige Empörung das
ganze deutsche Volk wegen dieser Untat des jüdischen Untermenschentums erfasste. Denn unsere Geduld ist zu Ende! Wir können nicht mehr zusehen, wie man unsere deutschen Menschen hinschlachtet wie das wilde Vieh.
Das deutsche Volk hat es durch Jahrhunderte hindurch in einer beispiellosen Geduld über sich ergehen lassen, dass ein fremdes Volk, das das Gastrecht in diesem Land besitzt, dieses Gastrecht auf das schmählichste dazu benützt hat, um das deutsche Volk zu stürzen. Das Judentum hat unsere herrliche Bewegung zuerst mit Hohn und Spott verfolgt, dann hat man uns verleumdet, dann wollte man uns totschweigen. Als auch das nichts geholfen hat, hat man zum Terror gegriffen. Das hat aber alles nichts genützt, man konnte uns verbieten, einsperren und niederknüppeln, man konnte morden, unsere Idee konnte man jedoch nicht umbringen.
[…] Für die heutigen Vorfälle in unserer sonst so friedlichen Stadt lehnen wir Nationalsozialisten die Verantwortung ab, die Verantwortung dafür müssen die tragen, die im Ausland deutsche Nationalsozialisten morden.
[…] Wir wissen, dass die Nationalsozialisten Disziplin halten können, und diese Disziplin besteht darin, dass wir alle unsere Empörung und unseren Schmerz zurückhalten und die Sühne für die Dinge, die da vorgegangen sind, denen überlassen, die unser Führer dazu bestimmt. An Disziplin appelliere jetzt und ich weiß, dass dieser Appell nicht umsonst war. […]
Quelle: Kärntner Grenzruf, Jg. 1 Nr. 62, 12. 11. 1938, zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist die Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten.
Zeitungsbericht: Was ist ein jüdischer Gewerbebetrieb?
[…] Da für Parteimitglieder und Mitglieder aller Gliederungen der nationalsozialistischen Bewegung sowie für Beamte Verbote über den Einkauf in jüdischen Geschäften bestehen und außerdem bei der Vergebung öffentlicher Aufträge oder der Zulassung von Verkaufsstellen zur Entgegennahme von Ehestandsdarlehen usw. der Begriff des jüdischen Gewerbebetriebes sehr wichtig ist, ist nunmehr auf Grund der Verordnung eine endgültige Entscheidung über diese Frage ergangen.
Der Artikel I der Verordnung behandelt den Begriff des jüdischen Einflusses, der bei einem Betrieb eines einzelnen Kaufmannes oder Handwerkers einfach dadurch gegeben ist, dass klar gestellt wird, ob der Inhaber Jude ist oder nicht. […..] Eine Aktiengesellschaft bereits dann als jüdisch anzusehen ist, wenn im Vorstand oder Aufsichtsrat auch nur ein Jude vertreten ist. […]
Die jüdischen Gewerbetriebe werden in Listen zusammengefasst und diese zur Einsichtnahme für jedermann offen gelegt. Damit jeder Volksgenosse die Gelegenheit hat, sich darüber zu unterrichten, ob ein Geschäft jüdisch ist oder nicht, werden voraussichtlich die untersten Verwaltungsbehörden mit der Auflegung der Listen betraut. Die bisher im Umlauf befindlichen Listen fallen nach der Aufstellung der gesetzmäßigen Liste fort.
Der Artikel III bestimmt, dass diejenigen jüdischen Geschäfte, die sich nicht arisieren, in absehbarer Zeit ein besonderes Kennzeichen führen müssen.
Quelle: Freie Stimmen, 19. 6. 1938, S. 3, zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten.
Die Reisepässe für Juden.
Das Polizeiamt Villach gibt bekannt: Im Reichsgesetzblatt vom 7. Oktober 1938 wurde eine Verordnung des Reichsministers des Innern über Reisepässe von Juden veröffentlicht. Nach dieser Verordnung, die mit ihrer Verkündigung in Kraft getreten ist, werden alle deutschen Reisepässe von Juden deutscher Staatsangehörigkeit, die sich im Inlande aufhalten, ungültig. Die Passinhaber sind verpflichtet, die Pässe derselben Passbehörde im Inland, in deren Bezirk der Passinhaber seinen Wohnsitz hat […] innerhalb von zwei Wochen nach Inkrafttreten dieser Verordnung, d. i. somit 21. d. M., einzureichen. Die Einreichung hat in Villach beim Polizeiamt zu erfolgen. […] Wer seinen Pass nicht oder nicht rechtzeitig einreicht, macht sich strafbar. Die mit Geltung für das Ausland ausgestellten Reisepässe von Juden werden wieder gültig, wenn sie von der Passbehörde mit einem vom Reichsminister des Innern bestimmten Merkmal versehen werden. […]
An Stelle der ungültig gewordenen Inlandpässe für Juden treten die Kennkarten, die durch die seit dem 1. d. M. geltende Verordnung des Reichsministers des Inneren über Kennkarten vom 22. Juli d. J. eingeführt worden sind. Hinsichtlich der Ausstellung von Kennkarten für die Juden wird eine besondere Verlautbarung ergehen.
Quelle: Kärntner Grenzruf, 17. 10. 1938, S. 6, zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten.
Berichte aus Gendarmerieprotokollen über das Novemberpogrom 1938 im Bezirk Villach
Velden:
Ein noch nie dagewesenes Ereignis trat am 10. 11 in den Abendstunden ein. In
grenzenloser Erbitterung über den erfolgten Tod des Gesandschaftsrates von Rath, der durch jüdische Mörderhand in meuchlerischer Art herbeigeführt wurde, versammelten sich Teile der Bevölkerung des Ortes in spontaner Weise und fielen gruppenweise über jüdische Besitzungen her. Es erfolgte eine wüste Zerstörung der unbewohnten jüdischen Häuser Villa Arnstein, Giebelhaus, Seehof, Helene, Weisshut und Landhaus Freisler. Der hiebei angerichtete Schaden belief sich nach provisorischer Schätzung auf ca. 100.000 RM.
Quelle: Chronik des Gendarmeriepostens Velden am Wörthersee, 1938, DÖW 17858/21
Obere Fellach bei Villach:
Der Papierfabrikant Josef Sternschuss “Jude“, Inhaber der Pappenfabrik Albeko in Obere Fellach wurde im Jahre 1938 durch das Stadtkommando Villach in Schutzhaft genommen und sein Eigentum arisiert. Die Fabrik wurde durch den Wiener Fabrikant August Ahlborn sodann käuflich erworben. Sternschuss befindet sich derzeit in Haifa in Egypten. Näheres über sein Schicksal ist unbekannt.
Quelle: Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Untere Fellach an das Bezirksgendarmeriekommando im Jahre 1946. DÖW 8351/K20
Heiligen-Gestade:
Nach dem Umbruch am 13. 3. 1938 wurden von Nazis aus Villach sämtliche Einrichtungen des Juden Dr. Erich Loewe, in Berghof in Heiligen-Gestade am Gutsbesitz, zertrümmert und zerschlagen. Später wurde der Besitz arisiert und am 9. 2. 1940 von der Deutschen Arbeitsfront übernommen.
Quelle: Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Sattendorf an das Bezirksgendarmeriekommando im Jahre 1946. DÖW 8351/K20
Stöckelweingarten:
Die Einrichtungen des Juden Kaufmann Glesinger aus Villach, im Wochenendheim in Stöckelweingarten, wurden von jugendlichen Nazis aus Villach nach dem Umbruch zertrümmert. Das Heim wurde dann vom Glesinger verkauft.
Die Pension des Juden Emil Rohland Richter in Stöckelweingarten wollte man nach dem
Umbruch auch zertrümmern, wurde aber durch rasches Eingreifen durch hiesige Gendarmerie vereitelt. Pension wurde dann später von Richter verkauft.
Quelle: Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Sattendorf an das Bezirksgendarmeriekommando im Jahre 1946. DÖW 8351/K20
Sattendorf
Das Wochenendheim des Juden Rogar in Sattendorf mit ca. 1000 Quadratmeter Grund wurde arisiert und später vom Radischnig, Hauptamtsleiter der NSDAP erstanden. Letzterer derzeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Gattin in Stöckelweingarten wohnhaft.
Quelle: Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Sattendorf an das Bezirksgendarmeriekommando im Jahre 1946. DÖW 8351/K20
Velden:
Am 10. 11. 1938 wurde wegen der Ermordung des deutschen Gesandten von Rath in Paris durch die SA Velden die Einrichtung der Judenhäuser Arnstein, Mayer, Löbenfeld-Russ, Kern, Weisshut und Edihaus in Velden demoliert und zum Grossteile vernichtet.
Quelle: Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Velden am Wörthersee an das Bezirksgendarmeriekommando im Jahre 1946. DÖW 8351/K20
Der Villacher Rechtsanwalt Marcell Glesinger
geboren am 21. Juni 1892 in Leoben; mosaischen Glaubens; vier Geschwister (drei Brüder, eine Schwester); Teilnehmer des ersten Weltkriegs, zahlreiche Tapferkeitsauszeichnungen; Studium der Rechtswissenschaften in Graz. Mitglied der jüdischen schlagenden Verbindung »Charitas« Dr.jur.; 1933 Ansiedlung als Anwalt in Villach, wohnhaft: Hans Gasser-Platz 2, wo sich auch die Kanzlei befand; verheiratet mit Sophie Glesinger (geboren am 15. Juli 1906 in der Ukraine); 1933 Geburt der Tochter Sascha, 1937 Geburt des Sohnes Eduard; nach dem Entzug der Berechtigung als Rechtsanwalt zu arbeiten; (12.4.1938!) und nach mehrfachen Plünderungen der Wohnung flüchtete die vierköpfige Familie mit zwei Koffer und zwei Taschen noch vor dem Novemberpogrom nach Wien (19. 8. 1938 Berechtigung zur Ausreise vom Polizeikommissariat Villach); von dort im September nach Holland; Fluchthilfe durch einen Wehrmachtsoffizier; am 31. März 1939 Ausstellung eines »Visa for Palestine«; mit dem Zug nach Triest, von dort mit dem Schiff nach Alexandrien, weiter nach Haifa; vorerst keine Arbeitserlaubnis, Gelegenheitsarbeiten (u. a. als Nachtportier); bis zu seinem Tode (November 1976) in ärmlichen Verhältnissen gelebt; niemals eine Entschädigung oder Pension erhalten.
Quelle: zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten, S. 21
Arthur Glesinger, Geschäftsmann und engagierter Villacher.
Villacher Kaufmann, Freidenker, verheiratet mit Josefine Glesinger, einer Bauerntochter aus Treffen bei Villach; zwei Kinder (Herta und Herbert); Leiter einer Zweigstelle des Leobner Familiengeschäfts, mit weiteren Niederlassungen in Hermagor und Treibach; Mitbegründer eines sozialdemokratischen Turnvereins in Villach; nach dem »Anschluss« Liquidierung seines Geschäftes durch die Nationalsozialisten; zum Schutz von Ehefrau und Kindern Scheidung erwirkt; Flucht über Wien nach Palestina (Haifa) im Sommer 1938; Rückkehr nach Kriegsende; Wiederverheiratung mit Josefine; keine Rückgabe seines geraubten und zerstörten Gutes; ab 2. März 1938 neues, kleines Geschäft geführt; Altersheim; gestorben 1957, begraben am Zentralfriedhof Villach.
Quelle: zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten
Auszug aus einem Brief, den der Zurückgekehrte Arthur Glesinger an den Sozialdemokraten Joseph Buttinger und dessen Ehefrau Muriel schrieb. Joseph Buttinger und sein ebenfalls in die USA emigrierter Bruder Alois – vor 1934 Leiter der Villacher Kinderfreunde – haben für das Nachkriegs-Villach, vor allem für Kinder und Jugendgruppen, enorme Hilfslieferungen organisiert.
[…] ganz überraschend bekam ich vor einigen Tagen ein C.A.R.E. Paket, als dessen Absender Frau Dr. Muriel Buttinger bezeichnet war. Gesprächsweise erwähnte Herr Zwerling, dass er Ihnen von meiner Notlage geschrieben habe und sie ersuchte, mir ein Liebesgabenpaket zu senden. Ich Ihnen vielmals für Ihre Güte. Diese Gabe ist eine grosse Wohltat für uns. Wie Sie wissen hatte ich ein sehr gut gehendes Geschäft und habe ich seinerzeit alle Arbeiterorganisationen, insbesondere aber den Turnverein und den Sportverein und nicht zuletzt die Kinderfreunde mit ziemlichen Mitteln unterstützt. Durch die Nationalsozialisten bin ich um mein ganzes Vermögen gekommen und musste ich ohne Geldmittel nach Palästina emigrieren, wo ich mich schlecht und recht durchbrachte. Nach Befreiung Österreichs kam ich wieder zu meiner hier gebliebenen Familie zurück. Ich dachte irgendeine Wiedergutmachung zu erhalten. Auch eine Anstellung, um die ich bei der Gemeinde ansuchte, wurde mit dem Hinweis auf mein vorgerücktes Alter verweigert. Ich habe nach langem Suchen nun wieder ein kleines Geschäftslokal erhalten und habe nachdem ich alle mir verbliebenen Gegenstände, wie goldene Uhr, Fotoapparat und dergleichen, verkaufte, wieder mit einem Geschäfte begonnen.
Quelle: zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten
Herta K. geborene Glesinger, erlebte den Raubüberfall auf das bereits unter kommissarischer Leitung stehende elterliche Geschäft. (Villach, Kirchplatz 1)
„Meine Tochter war damals klein. Ich habe sie nach dem Essen ins Bett gelegt. Da sind sie gerade gekommen. Eine ganze Horde. Mit einem sehr intelligent aussehenden Anführer. Und dann hat meine Mutter gesagt:“ Ich bin ja in Scheidung. Es gehört ja alles mir!“- Sie haben uns trotzdem alles weggenommen. Wir sind im Geschäft gewesen. Und da sind sie hereingekommen und stante pede haben wir hinaus müssen. Sogar die Geldbrieftasche, Einnahmen von einer ganzen Woche, war noch in der Kassa, da war alles weg. Wir haben nicht mehr hinein dürfen. Es ist wohl weiter verkauft worden. Sie haben einen Leiter gekriegt. Vor der Tür sind zwei SA-Männer gestanden und so breitbeinig, und haben jeden, der hinein wollte, gesagt: “Das ist eine jüdische Firma!“
Quelle: zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten
Arabella Weißberger beschrieb unmittelbar nach dem Kriegsende in einem offiziellen Bericht die Zerstörungswut der NS-Meute in ihrer Privatwohnung, Peraustraße 33.
„Die Nazis brachen die Wohnungstür auf und hatten dafür auch mehrere Werkzeuge mit. Sie machten sich über die Möbel her und warfen fast alles aus den Fenstern, zerschnitten die Vorhänge und Bilder und zerschlugen das schöne Geschirr. Dann warfen sie auch die Münzen aus der Sammlung meines Mannes auf die Straße, und was sie an Schmuck und Edelsteinen fanden, zertraten sie entweder am Boden oder warfen es aus den Fenstern.“
Quelle: August Walzl, die Juden in Kärnten und das Dritte Reich. Klagenfurt 1987, S. 214.
Eine anonyme Zeitzeugin:
Die „Kristallnacht“ in Villach verfolgt mich noch immer. Ich war zwölf Jahre alt und war am Nachhauseweg durch die Stadt, als ich Zeuge wurde wie SA-Gruppen Fensterscheiben einschlugen und Möbel auf die Straße warfen und diese anzündeten. Während ich das Haus meiner Schulfreundin, deren Eltern Juden waren, erreichte, versuchten gerade zwei SA-Männer deren Klavier aus dem oberen Fenster hinauszuwerfen. Damit dies gelingen sollte, schlugen sie mit einem schweren Hammer Teile aus dem Klavier, so daß sie es durch das Fenster auf die Straße darunter werfen konnten. Wie ich vorbei ging, beobachtete ich entsetzt wie das Klavier plötzlich auf dem Boden stürzte und jubelnde SA-Schläger sich darauf stürzten und es schnell zerstörten. Meine Schulfreundin erschien am nächsten Tag nicht in der Schule. Ich habe sie nie wieder gesehen.“
Quelle: Reg Herschy, Freedom at midnight, Austria: 1938 – 1955, A story of the traumatic years of occupation. Worcester 1989, S.21.
Abschrift eines Briefes von Leo Fischbach, der heute in Miami in Florida lebt. Er erinnert sich in diesem Brief an seine Schulzeit im Villacher Perau-Gymnasium, an den alltäglichen Antisemitismus in unserer Stadt, an die Emigration und an die Ermordung seiner Mutter Amalia Fischbach im KZ Auschwitz.
Ich bin am 12. August 1912 in St. Ruprecht bei Klagenfurt geboren und meine Eltern sind mit uns Kindern nach kurzer Zeit nach Villach übersiedelt. Die erste Erinnerung meiner Kindheit ist, als mein Vater im ersten Weltkrieg einrücken musste. Es war sehr schwierig für meine Mutter, meinen jüngeren Bruder Josef und mich allein aufzuziehen.
Bald nachdem Ende des Krieges kam ich in die Volkschule. Die Misere meines Lebens begann zu diesem Zeitpunkt. Täglich wurde ich von meinen Mitschülern mit folgenden Worten begrüßt: »Jüdchen, Jüdchen, hed, hed, hed, Schweinefleisch macht Jüdchen fett. Nach einiger Zeit ist es ihnen gelungen, mich von meinem direkten Weg zur Schule zu vertreiben. Ich mußte den Hauptplatz meiden und Seitengassen benützen, um diesen Stänkereien zu entgehen. Der Antisemitismus war ihnen schon in ihrer frühesten Jugend beigebracht.
Als ich dann ins Gymnasium (das heutige Peraugymnasium) kam, waren Willie Spierer und ich die einzigen jüdischen Schüler in der Schule. Willi machte seine Matura ein Jahr später und ich blieb als einziger Jude. Meine Lage wurde unerträglich.
Um meine nächsten 4 Jahre zu beschreiben, müsste ich ein Buch schreiben. Täglich um 10 Uhr morgens hatten wir eine Pause. Alle Schüler begaben sich in den Schulhof. Ich konnte nicht daran teilnehmen. Dasselbe galt für Ausflüge.
Es würde viel zu lange dauern, alle Beleidigungen und Verspottungen anzuführen. Was habe ich ihnen getan, so eine Behandlung zu verdienen?
Ich erinnere mich an einen besonderen Fall. Wir hatten einen Deutschlehrer. Er verlangte von jedem Schüler über irgendein Thema zu sprechen. Als ich an der Reihe war, wählte ich als Thema den damals laufenden Film Ben Hur. Als der Professor am Ende der Unterrichtsstunde den Klassenraum verlassen wollte, stand der Schüler Fritz W. aus Lienz auf und versperrte dem Professor den Weg. Mit seinen Armen an seinen Hüften erklärte er: „Herr Professor! Wir werden es nicht zulassen, dass über den Film Ben Hur gesprochen wird, da dieser Film eine Judenverherrlichung ist.“ Ohne W. zu antworten, versuchte der Professor zu verschwinden. Ich war so wütend und warf W. gegen die Schultafel. Der Professor packte mich beim Genick und sagte: „Fischbach, nur keine Hitzköpfigkeit!“ Dies war derselbe Professor der zu Professor Singer sagte: „Der Unterschied zwischen uns ist, dass mein Vater ein Adeliger ist und Ihr Vater ein Pinkeljude!“ Prof. Singer verübte später Selbstmord. Als ich mein Untergymnasium beendete, sagte der Geschichte Professor: „Na, da sind wir aber froh, Sie los zu werden!“ Nicht alle Professoren waren gehässig. Schuldirektor Dr. Grossmann und Professor Kmeth waren sehr nett zu mir. Im Großen und Ganzen, kann ich nicht sagen, dass meine Schulzeit in Villach eine angenehme war. Tatsache ist, dass die verbleibenden Wunden noch vorhanden sind, und ich daher außergewöhnlich scheu und gar nicht ausgegangen bin.
Nach meinem Untergymnasium ging ich allein nach Wien in die Textilschule, um mich in Strickerei und Wirkerei ausbilden zu lassen. Nach Vollendung eröffnete ich eine ganz kleine Strickerei. Der Erfolg war nicht groß, da ich kein Geld hatte, um mein Erzeugnis selbst zu verkaufen; so musste ich Lohnarbeit annehmen, die sehr schlecht bezahlt wurde.
Dann kam Hitler. Von einer Tante, die schon viele Jahre in den U.S.A. lebte, erhielt ich ein
Affidavit und ich schiffte mich am 15. September in Antwerpen ein und erreichte New York am 27. September 1938. Eine Woche nach meiner Ankunft fand ich Arbeit als Handmaschinenstricker. Bald darauf kaufte ich – mit geborgtem Geld – Visa für meine Eltern nach Kuba. Sie schifften sich im Februar 1939 ein. Der Name des Schiffes war die St. Louis. Die Kubaner ließen das Schiff nicht landen und die armen 1.000 Menschen mussten zurück nach Europa. Die 4 Länder, England, Frankreich, Holland und Belgien. haben sich bereit erklärt je 250 Leute aufzunehmen. Sehr viele haben Selbstmord verübt. Viele Jahre später wurde sogar ein Film über das „The Ship of the Damned“ gedreht. Nebenbei: das Geld für die Visa habe ich nie wieder gesehen. Meine Eltern wurden nach Südfrankreich gebracht. Die Franzosen internierten meinen Vater sofort im Lager Gurs. Nach seiner Freilassung war meine Mutter bereits im nazibesetzten Gebiet. Mein Vater ging zu meiner Mutter zurück. Kurz nachher verschied er im Alter von 51 Jahren. Meine Mutter wurde im Jahre 1941 nach Auschwitz verschleppt und ist in den Gaskammern umgekommen. Menschen, die in ihrem ganzen Leben niemanden ein Leid zufügten.
Nach einem Jahr in den U.S.A. heiratete ich eine reizende Wienerin. Für 54 Jahre hatten wir eine wunderbare Ehe. Meine geliebte Edith verschied ganz plötzlich, ohne irgendwelche Krankheit zu haben am 30. Sept. 1994. Bald nach unserer Hochzeit eröffnete ich meine eigene Strickwarenerzeugung, obwohl ich klein begann, war mein Betrieb gleich ziemlich erfolgreich, und ich kann mit Stolz sagen, dass ich es bis auf 75 Mitarbeiter gebracht hatte.
Quelle: Brief von Leo Fischbach an Professor Manfred Hubmann (Peraugymnasium)
Die Verwüstung des Warenhauses von Osias Fischbach in der Italienerstraße
Bereits im Juni 1938 wurde das Warenhaus des Osias Fischbach einem kommissarischen Leiter übergeben. In einem Gerichtsprozeß Ende 1938 wurden diesem Veruntreuung bewiesen. Im Zuge der Zeugeneinvernahme schilderte Herr.. die Zerstörungsaktion gegen Hab und Gut des enteigneten Osias Fischbach. „Am 10.11.1938 gegen 8.30 Uhr erhielt ich von Herrn W. den Auftrag, mich mit einigen Leuten in unser Magazin (= NSV Magazin) zu begeben, um die dort eingelagerten Sachen des Juden Fischbach auf einen bereitstehenden Lastwagen verladen und in die Wohnung Fischbachs zurückführen zu helfen. Bei meiner Ankunft im Magazin war bereits der Mitarbeiter Rs(…) anwesend. Unmittelbar darauf erschien im Magazin auch R. und ging gemeinsam mit S. an die Zerschneidung und Zerreissung der dort befindlichen Sachen und Gegenstände über. R. forderte uns auf, an dieser Aktion teilzunehmen, und sagte in diesem Zusammenhang , man müsse diese Sachen einer gründlichen Musterung unterziehen, da sich unter den Polstern, Matratzen, Divan usw. Geld befinden könnte. Da ich wußte, daß R. bei der Kreisleitung Villach tätig war, nahm ich an , daß diese Aktion im Auftrag derselben durchgeführt und vorgenommen wurde. Sämtliche, dort vorhandenen Wäsche- und Bekleidungsstücke wurden mit Messern zerschnitten und teilweise zerrissen. R. selbst beteiligte sich an der Sache bis zum Schluß. (…) Von der NSV (= Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) waren an der Sache Herr M. von Villach und G., ebenfalls von Villach, beteiligt. (…). Ich bin jederzeit bereit, meine vorstehend gemachten Angaben mit meinem Eide zu bekräftigen.“ F.P.
Quelle: Zitiert nach Andrea Lauritsch in Alpe Adria 4/98, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten, S. 10.
Große Protestkundgebung
Am 12.d.M. versammelte sich die Bevölkerung Villachs im Kasinosaale, um gegen die feige Mordtat des Juden Grünspan und die gehässige Kampfansage des Weltjudentums an das Dritte Reich Stellung zu nehmen. War es am Donnerstag die in berechtigter Empörung überschäumende Volksseele , die sich in spontanen Aktionen Luft gemacht hatte, so war diese Kundgebung der Ausdruck des unbeugsamen Willens, mit dem Judenproblem gründliche Abrechnung zu halten und die Abwehr seiner Übergriffe auf gesetzlichen Wege durchzuführen. Der Ortsgruppenleiter Villach-Mitte Pg. Czeitschner ergriff das Wort zu einer großangelegten Rede. Er ging von den Ereignissen des Donnerstag aus, betonte, daß die Einzelaktion von den zuständigen Parteistellen weder gewollt noch befohlen worden waren, wenngleich sie angesichts der frechen jüdischen Übergriffe psychologisch verständlich seien. Alle Volksgenossen leisteten übrigens der Weisung des Ministers Dr. Goebbels auf die Sekunde Folge. Wenn aber einige empfindliche Volksgenossen die Aktionen allzusehr kritisierten, so möchten sie doch bedenken, welcher Schaden größer gewesen sei, daß ein Radio oder ein Klavier auf die Straße geworfen und zertrümmert oder daß das Leben deutscher Menschen infolge des Terrors des mit Klerikalismus und Kommunismus verbündeten Judentums vernichtet wurde. In packenden Vergleichen geißelte der Redner die zersetzende Tätigkeit des Judentums und sein Parasitentum im Wirtschaftsleben des deutschen Volkes, seine ständige Hetze gegen das Dritte Reich, und die immer wieder in lebhaften Beifall und Zwischenrufen sich äußernde Zustimmung der Volksgenossen bewies, dass der Redner allen aus dem Herzen gesprochen hatte. Besondere Empörung rief die Mitteilung hervor, dass im Hause des Juden Weisberger in Villach ein Waffenlager gefunden wurde, wie dies ja auch in anderen Städten der Ostmark der Fall war. Die Kundgebung trug wesentlich dazu bei, die Gehirne durch das allzu rührselige Getue mancher Volksgenossen, die sich ja doch zumeist um die letzten Trümmer der österreichischen Volksfront Kommunismus-Klerikalismus-GmbH gruppieren, nicht vernebeln zu lassen. Alle warten allerdings auf die endgültige und durchaus in der Linie des nationalsozialistischen Aufbau- und Reinigungsprozesses liegende gesetzmäßige Regelung der Judenfrage. Hervorzuheben ist, daß viele Volksgenossen infolge der beispiellosen Überfüllung des Kasinosaales nicht mehr Einlass finden konnten.
Quelle: Kärntner Grenzruf Jg. 1, Nr. 63 (14.11.1938), S.6, zitiert nach Andrea Lauritsch, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten
Protokoll eines Interviews mit Frau Mathilde Wassertheurer verwitwete Gradenegger betreffend Maria Gornik
In den Kriegsjahren bis 1944 wohnte Frau Wassertheurer, verw. Gradenegger, mit ihrem Sohn, dem späteren Abgeordneten zum Nationalrat Hofrat Dr. Johannes Gradenegger, und ihrem Ehemann als Mieter im Haus Adunka in Kiesweg 10 in Villach. Im selben Haus führten Herr Wilhelm Gornik und seine Frau Maria Gornik eine Greißlerei. Ihre Wohnung besaßen sie in der Oberfeldstraße, neben der Familie Raunjak. Herr Wilhelm Gornik hatte seine spätere Frau während des 1. Weltkrieges an der Ostfront kennengelernt. sie hatte ihm dadurch das leben gerettet, dass sie ihn acht Tage lang versteckt hielt. Schließlich heirateten sie. Kinder hatte das Ehepaar keine. Frau Maria Gornik soll das außereheliche Kind des jüdischen Hausherren, bei dem ihre Mutter in Dienst stand, gewesen sein.
Eines Tages im Jahre 1942 wurde Frau Maria Gornik vor der Greißlerei in Anwesenheit von Frau Wassertheurer und ihrem Sohn, damals 10 Jahre alt, verhaftet. Frau Maria Gornik hatte schon längere Zeit davor Angst vor einer Verhaftung