16 Okt Interview in Zur Zeit
Schwarzweißdenken muß aufgebrochen werden
Slowenenvertreter Marjan Sturm zur Kärntner Ortstafelfrage, über Urängste und ein neues Volksgruppenrecht
Herr Dr. Sturm, Sie arbeiten schon seit Jahren in der Kärntner Konsensgruppe: Wird es in absehbarer Zeit ein Lösung in der Kärntner Ortstafelfrage geben?
Marjan Sturm: Wenn es nach uns ginge, auf jeden Fall. Das letzte Wort hat zwar immer die Politik, aber wir haben schon einige Vorschläge unterbreitet und konzentrieren uns jetzt darauf, daß die offenbar hinter der ungelösten Ortstafelfrage steckenden Vorurteile aufgearbeitet werden. Den Menschen ist klar zu machen, daß wir in neuen Zeiten leben und daß die Ängste der Vergangenheit nicht mehr angebracht sind, was eine sehr spannende Aufgabe ist.
Welche Ängste der Vergangenheit sind es denn, die einer Lösung im Wege stehen?
Sturm: Es gibt auf beiden Seiten solche Urängste: Auf der einen Seite gibt es eben diese Urangst, daß Südkärnten irgendwie gefährdet ist, und auf der slowenischen Seite – vor allem in Slowenien – gibt es die Urangst, daß die Germanisierung immer vom Norden gekommen ist. Ich halte beide Positionen in der heutigen Zeit nicht mehr für aufrecht erhaltbar, aber ich muß gestehen, daß ich diese Urängste in der Vergangenheit unterschätzt habe. Weil solche Ängste länger wirken, kann man sie nur durch einen Dialogprozeß aufarbeiten, und insofern besteht unsere Aufgabe darin, dieses Schwarzweißdenken auf beiden Seiten aufzubrechen und die Menschen dazu zu bringen, differenzierter zu denken, damit die Vorurteile langfristig und anhaltend abgebaut werden.
Auf Deutschkärntner Seite ist teilweise noch immer die Verschleppung Dutzender Zivilisten unmittelbar nach Kriegsende durch die Tito-Partisanen ein Thema. Wie stehen Sie dazu?
Sturm: Ich habe heuer zum ersten Mal an einer Gedenkveranstaltung bei einer Grabstätte teilgenommen, wo man – es ist nicht 100prozentig nachgewiesen – davon ausgeht, daß dort eine Gruppe von diesen sogenannten Verschleppten begraben ist, wie die Personen genannt werden, die nach dem 8. Mai 1945 ohne Gerichtsverfahren umgebracht worden sind. Dort habe ich natürlich mein Bedauern zum Ausdruck gebracht und aufgefordert, die Pietät zu wahren und der Toten zu gedenken, ganz egal durch wen sie umgebracht worden sind, was ein wichtiges Zeichen war.
Slowenien hat die deutschen Altösterreicher nicht als Minderheit anerkannt. Wäre eine Anerkennung dieser Restminderheit sinnvoll, um das Verhältnis in Kärnten zu entkrampfen?
Sturm: Das Problem besteht darin, daß dieser Gruppe die Urängste der slowenischen Bevölkerung vor dem Deutschtum entgegengebracht werden. Daher bin ich sehr froh darüber, daß diese Gruppe eine sehr behutsame Politik macht und nicht – wenn ich ganz ehrlich bin – so auf den Tisch haut wie wir das machen.
Diese Gruppe versucht sich mit Kulturarbeit einfach Respekt und Anerkennung zu verschaffen. Heuer machen wir z. B. am 25. Oktober eine gemeinsame Veranstaltung in Marburg/Maribor, wo eben slowenischsprachige Vereine aus Maribor und der Verein Brücke mit Kärntner Slowenen und deutschsprachigen Vereinen aus Kärnten unter dem Titel „150. Todestag von Erzherzog Johann, 150 Jahre Bischof Slomsek“ eine gemeinsame Kulturveranstaltung durchführen werden. Sie sehen also, wir versuchen, gerade in diesem Bereich vertrauensbildende Maßnahmen zu setzen, was längerfristig der erfolgreichere Weg sein wird.
Die Bundesregierung will laut Koalitionsübereinkommen ein neues Volksgruppengesetz in Kraft setzen, und eine Expertengruppe hat in der Vorwoche diesbezüglich einen Entwurf vorgestellt. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Sturm: Ich habe an diesem Entwurf nicht mitgearbeitet und kenne ihn auch noch nicht, aber das Bundeskanzleramt veranstaltet am 3. Dezember eine Enquete zu diesem Thema. Das Neue an dieser Enquete wird sein, daß dort nicht nur Juristen sprechen werden, sondern daß es einen interdisziplinäreren Zugang geben wird, wo auch Soziologen, Politologen, Bildungswissenschafter und Migrationsexperten sprechen werden. Man wird also versuchen, die Lage der Volksgruppen in Österreich von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Die Juristen haben die eine Sicht der Dinge, aber man muß die Dinge heute differenzierter betrachten: Wenn Sie sich Kärnten anschauen, steigt das Interesse an der slowenischen Sprache enorm, was aber nicht unbedingt etwas mit der slowenischen Volksgruppe zu tun hat. Denn es sind nicht alle, die Slowenisch lernen, automatisch Angehörige der Volksgruppe, sondern es gibt verschiedene Motive, Minderheitssprachen zu lernen. Und diese neue Dimension einzufangen und in eine moderne Gesetzgebung zu implementieren, wird sehr wichtig sein.
Welche Wünsche oder Anregungen haben Sie bezüglich des geplanten neuen Volksgruppengesetzes?
Sturm: Als Integrationspolitiker glaube ich, daß man möglichst wenig Trennlinien aufbauen, sondern Sprache, Kultur und Vielfalt fördern und in den Vordergrund stellen sollte, weil das heutige Volksgruppenkonzept aus der Vergangenheit stammt und sehr mit Vorurteilen behaftet ist. Hier ist ein Modernisierungsbedarf gegeben, und es ist auch eine Differenzierung zuzulassen, denn ich halte es für sehr wichtig, daß nicht jeder automatisch zur Volksgruppe gezählt wird, der irgendwann einmal einen Sprachkurs besucht hat.
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.