Laudacija Petre Hesse ob podelitvi Rizzijeve nagrade

[:de]

Liebe Preisträger, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Dragi nagrajenci, spoštovane gospe in gospodje!

Wenn eine Nicht-Kärntnerin wie ich die Laudatio zur Verleihung des Vinzenz-Rizzi-Preises halten darf, so muss sie sich erst einmal über den Namenspatron dieses Preises informieren. Und eine solche Vorbereitung lohnt sich, denn man stößt dabei u. a. auf eine Auseinandersetzung des Jahres 1855, die auch heute noch nicht abgeschlossen zu sein scheint:

Als Herausgeber der Klagenfurter Zeitung wurde Rizzi von der konkurrierenden Zeitung Carinthia (Hg. Simon Martin Mayer) angegriffen, weil er im Feuilleton angeblich einen leichten, unernsten und der Kultur unwürdigen Ton eingeführt habe; darauf konterte Rizzi, den wahren Patriotismus habe prinzipiell niemand für sich allein gepachtet – auch und gerade für einen wirklichen Patrioten sei eine Verbindung von Ernst und Scherz möglich. Denn: nur das Langweilige, das Aufgedunsene und innerlich Hohle müsse das Komische fürchten. Wer hingegen seine Materie beherrsche, der könne sie auch leicht behandeln.

Torej je Vinzenz Rizzi v tako imenovani „Prvi Celovški tiskovalni vojni“ s konkurentom svojega časopisa branil pravo patriota, da v svojem razumevanju kulture poveže resnobo s veseljem. Duhovite komike se mora bati samo dolgočasno, ošabno, notranje votlo prikazovanje.

Primer takšnega mišljenja je ena fotografija na razstavi, ki jo je UNIKUM pripravil lani v sodelovanju s Slovenskim prosvetnim društvom ZARJA: Slika iz leta 1947 prikazuje nemško-nacionalni napis v Velikovcu – na steni lahko uganemo izbrisano nemško besedo „VERRÄTER“ (to je izdajávec) samo iz bele barve na sivíni, ampak za isto besedo, napisano drugič, je očitno uporabljen slovenski pravopis.

Ich habe gerade ein neueres Beispiel für die von Vinzenz Rizzi vertretene Auffassung geschildert, dass aller gebotene Ernst die Komik nicht ausschließt: Im Völkermarkt des Jahres 1947 wurde „Verräter“ an eine Hauswand geschmiert und so gründlich gelöscht, dass die Buchstaben des deutschen Wortes als weiße Spur auf grauem Grund erhalten blieben. In einer neuerlichen Schmiererei erscheint das ursprüngliche Wort wieder, nun allerdings in slowenischer Orthographie: „VERETER“. In der realen Auseinandersetzung der Nachkriegszeit, quasi in der Hitze des Gefechts, wurde dem Schreiber sicher nicht bewusst, dass er damit weniger den deutschen als gerade den slowenischen Anteil an seiner eigenen Sozialisierung zur Schau stellte – eben jener slowenische Anteil der eigenen Gesellschaft, der als das Fremde schlechthin abgespalten und angeprangert werden sollte, wird unfreiwillig als das Eigene ausgewiesen. Im deutsch-nationalen Kontext hingegen stellt da jemand schlicht und einfach seine Halbbildung zur Schau.

Die unfreiwillige Komik dieser historischen Schmiererei gibt sich in der photographischen Wiedergabe zu erkennen, die uns das Universitätskulturzentrum UNIKUM in Zusammenarbeit mit dem Slowenischen Kulturverein ZARJA vor Augen führte; der Titel jener Ausstellung des vorigen Jahres lautete, wie immer zweisprachig: „Zusammen/Stöße – Erinnerungssplitter einer Grenzregion“, „Na/Proti – Drobci z obmejnega obmocˇja“. Und dieser Titel ist, wie auch die geschilderte Photographie, Programm für die Arbeit des UNIKUM:

Emil Krištof und Gerhard Pilgram arbeiten nicht nur geographisch in einer Grenzregion; die Grenze existiert bekanntlich auch in den Köpfen. Diese Situation verlangt Parteinahme und Kritik, aber sind es tatsächlich nur zwei Parteien, für deren eine oder andere man sich entscheiden kann, ja muss? Ist die Wahl tatsächlich eine ausschließliche nach dem Muster ‚Entweder – oder’? In den Kulturwissenschaften wird derzeit, nach dem Ende der großen Machtblöcke und des Kalten Krieges, immer häufiger eine dritte Möglichkeit für Entscheidungen eingefordert, die menschliche Identität betreffen. Unser Duo Krištof / Pilgram gehört zu den Vorreitern dieser Forderung: Seit den Anfängen des UNIKUM setzen sie an die Stelle polemischer Ausschließlichkeit und propagandistischen Pseudo-Ernstes einen spielerischen Umgang mit der Zersplitterung einer Region, die es zu heilen gilt, und mit „heilen“ meine ich „heil machen“ im ureigenen Sinne des Wortes: wieder ganz machen.

Damit steht uns – wie Vinzenz Rizzi es sich gewünscht hatte – der große Ernst vor Augen, mit dem ein spielendes Kind die vielen Teile eines Puzzles zusammensucht und zusammenhält, um daraus sein Bild zusammen zu setzen, ein neues Bild, in dem doch alle vorgeprägten Teile ihren Platz finden. Denn: Spiel bedeutet nicht Willkür, jedes Spiel folgt Regeln, aber seinen eigenen Regeln, und die können durchaus andere sein als die Regeln des so genannten richtigen Lebens. Und wir alle wissen, dass Spielregeln nicht unwiderruflich feststehen, sondern unter Spielern und Spielerinnen gelegentlich neu auszuhandeln sind.

Lahko se tudi mi dogovorimo – na jezikovni preklop:
Če razumemo UNIKUMovo obdelavo neke teme kot resnobno igro, je njihova posebnost v pravilih te igre. Najprej nas zbode v oči, ko nam dvovprega Krištof / Pilgram predloži razširjeno zaznavo, na primer v naravi. Na bolj ali manj dolgih sprehodih nam avtorja okrepita vid, sluh, tip s preprostimi sredstvi – konzervna škatla, obešena na drevesu, zbira zračne tresljaje, prenesene čez veje, in jih pošlje do našega bobniča; lesena greda odpira cel svet zvenenja v potočni strugi; jeklene strune preobrazijo planinsko hišico v velikansko kitaro, na katero se da igrati, in tako dalje. Človeška dojemljivost se, tako rekoč, razmnoži, tako da pridobi posameznik vtise raznih živih bitij iz raznorodnih svetov.

Die Regeln, die das ernste Spiel der UNIKUMsarbeit bestimmen, besagen zunächst, dass unsere normale menschliche Wahrnehmung nicht die einzig mögliche und schon gar nicht die einzig wahre ist – von diesem Vorurteil müssen wir uns auf einer Wanderung mit Emil und Gerhard verabschieden. Statt dessen werden entlang von Wanderwegen mit einfachsten Mitteln neue Versuchsanordnungen aufgebaut, die es – buchstäblich – zu durchlaufen gilt. Eine leere Konservendose wird in einen Baum gehängt, wo sich Schwingungen aus der Luft, übertragen durch die Zweige, in der Büchse fangen und verstärkt werden, so dass das menschliche Trommelfell sie empfangen kann; ein hölzerner Stecken dient gleichsam als Schlüssel zu einer ganzen Welt des Rauschens und Blubberns in einem Bachbett; Stahlsaiten verwandeln eine Almhütte in ein riesiges Saiteninstrument, auf dem wir selber spielen und den Klang der Hütte erfahren können, u. s. w. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass das UNIKUM unsere Sinneswahrnehmung in die Lebensbereiche anderer Lebewesen hinein ausdehnt – unser alltägliches Bild von der Welt verändert sich, sobald wir uns spielerisch auf die Versuchsanordnungen einlassen, in geradezu verblüffender Weise.

Einen Spezialfall der veränderbaren Wahrnehmung stellen für Emil Krištof und Gerhard Pilgram die weißen Flecken in unserer Selbstwahrnehmung und unserer Sicht der eigenen Geschichte dar – betrachten wir diese doch versuchsweise einmal spielerisch, indem wir existierende Sichtweisen konsequent durchspielen! Als Beispiel greife ich die UNIKUMs-Ausstellung „Koffer / Kovček“ des Jahres 2005 heraus: In diesem Koffer wurde volkskundliches Pseudo-Wissen über ‚die Anderen’ in gegenständlicher Form gesammelt. Fragen wie „Bin ich ein Slowene? Ali sem nemec?“, „Wie haust der Slowene?“, „Wie heißt der Slowene?“ oder einfach „Slawisches Blut (dick und schwer)“ wurden samt ihren stereotypen Antworten auf Spielkarten, in Fläschchen und in Schachteln verpackt und in einem Koffer weggeschlossen. Der konkrete Koffer ließ sich aber natürlich auch wieder öffnen – dann kamen die Inhalte wieder zutage … Die historischen Stereotype lassen sich so als ernsthaftes Spiel betrachten, denn sie sind in einem doppelten Sinne aufgehoben: Sie werden aufbewahrt als Überlieferung eines historisch wirksamen Geschehens, zugleich aber werden sie als Stereotype unwirksam: Sie werden nämlich durch die künstlerische Bearbeitung als Stereotype bewusst gemacht und dem erlösenden Lachen preisgegeben.

Und noch eine weitere Spielregel stützt den künstlerischen Umgang des UNIKUM mit seinen Themen: die Regel der strikten Zwei- oder, fallweise, auch Mehrsprachigkeit, um die eine Zugereiste wie ich die Kärntner Sloweninnen und Slowenen nur beneiden kann. Denn: was bedeutet Zweisprachigkeit für menschliches Bewusstsein?

Wir alle übersetzen ständig Eindrücke unserer Sinneswahrnehmung in Sprache. Was hast du gesehen? Hast du das gehört? Wie fühlte sich das an? Wie schmeckt denn das? Die möglichen Antworten, ganz normale alltägliche Sätze, sind jedes Mal Übersetzungen aus dem Medium der angesprochenen Sinnesorgane in Sprache. Wenn solche sprachlichen Formulierungen von Sinneseindrücken nun nicht nur eine, sondern zwei Sprachen zum Ziel haben, dann ergeben sich, vom sprachfähigen Bewusstsein her gesehen, zwei unterschiedliche Perspektiven auf ein und dieselbe Sache. Wer die Welt aber aus zwei Perspektiven sehen kann, sieht sie nicht einseitig, sofern er oder sie den unterschiedlichen sprachlichen Systemen ihre Eigenständigkeit belässt und nicht nur eins zu eins wie ein schlechtes Computerprogramm übersetzt. Dann können sogar Kollisionen verschiedener Sprachsysteme mit leichtfüßigem Ernst herbeigeführt werden, wie etwa in der UNIKUMs-Aktion „Haček (k)lebt“, oder unser Duo richtet einen bunten Mischmasch an und lässt uns mit kindlicher Freude in unserer „Buhštabenzupe“ rühren.

Angesichts dieser künstlerisch-philosophischen Leistungen stelle ich mir seit geraumer Zeit die Frage: Wie kann man sich diese spielerische Leichtigkeit durch so viele Jahre und Projekte hindurch bewahren, ohne in den eigenen Spielregeln zu verknöchern und genau so verbissen zu agieren – nicht wie ‚die’, sondern wie manche anderen? Gibt es eine übergeordnete Regel, gleichsam eine Meta-Spielregel?

Morebitni odgovor na to vprašanje je morda dal eden izmed prejemnikov Rizzijeve nagrade: moj spoštovani kolega in prijatelj Karl Stuhlpfarrer, ki bi se današnje podelitve nagrade UNIKUMu iz srca razveselil. Karla Stuhlpfarrerja so danes dopoldne na Dunaju pospremili na zadnjo pot.

Eine mögliche Antwort auf meine Frage hat vielleicht ein anderer Rizzi-Preisträger gegeben: mein verehrter Kollege und Freund Karl Stuhlpfarrer, der sich über die heutige Verleihung des Preises an das UNIKUM von Herzen gefreut hätte. Karl Stuhlpfarrer ist heute Vormittag in der Feuerhalle Wien-Simmering aus dieser Welt und damit auch aus unserem Leben verabschiedet worden. Wir werden ihn nicht mehr zu uns sprechen hören in seiner ruhigen, überlegten und so oft auch zu spielerischer Ironie geneigten Art. Zum Gedenken an ihn bitte ich Sie um einen Moment des Schweigens und der Erinnerung.

Ich danke Ihnen, hvala. Und ich möchte mir gemeinsam mit Ihnen ein Interview zum Thema „Erinnerungskulturen“ vergegenwärtigen, das Karl Stuhlpfarrer noch im März dieses Jahres meiner Kollegin Alice Pechriggl für die „Philosophische Audiothek“ einer Arbeitsgruppe an der Universität Wien gegeben hat: Sie fragte Carlone, wie er sich gern nennen ließ, auf welche Weise ein einzelner Forscher es überhaupt ertragen könne, sich immer und immer wieder mit all dem Unrecht zu konfrontieren, das den Alpen-Adria-Raum im 20. Jahrhundert so schmerzhaft zersplittert hat. In seiner Antwort nannte er zwei Verhaltensweisen, die ihm wesentlich schienen: Man dürfe sich nie restlos identifizieren, auch nicht mit dem erschütterndsten menschlichen Leid, und v. a. müsse man immer zusammen mit anderen, im Gespräch mit ihnen arbeiten.

Mir scheint, diese beiden Regeln sagen auch etwas über die Arbeit der heurigen Rizzi-Preisträger aus: Auch sie identifizieren sich, aber nie restlos und niemals verbissen, wenn sie in ihren künstlerischen Versuchsanordnungen eine Veränderung des Standortes und damit der Perspektive und der Wahrnehmung anregen – sie bleiben frei, beweglich und leicht. Ein solches Denken tritt dann seinerseits leicht in einen Dialog mit anderen, mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, mit Partnerorganisationen und mit uns, dem Publikum, das in stetig wachsender Zahl mitgeht auf die forschenden Wanderungen – und mit Wanderungen meine ich nicht nur die eigentlichen Exkursionen, sondern sämtliche Aktivitäten des UNIKUM.

Vielleicht hat der Zeitgeschichtler also auch eine Spielregel für die Künstler formuliert? Zu der Vielfalt möglicher Perspektiven, die sich hier eröffnen, kann ich allen abschließend nur gratulieren: den Künstlern Emil und Gerhard, dem Slowenischen Zentralverband, den Historikern und Historikerinnen und uns allen, die wir gemeinsam mit dem UNIKUM in spielerischem Ernst auf unsere Region und unsere Welt schauen dürfen.[:SL]

Liebe Preisträger, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Dragi nagrajenci, spoštovane gospe in gospodje!

Wenn eine Nicht-Kärntnerin wie ich die Laudatio zur Verleihung des Vinzenz-Rizzi-Preises halten darf, so muss sie sich erst einmal über den Namenspatron dieses Preises informieren. Und eine solche Vorbereitung lohnt sich, denn man stößt dabei u. a. auf eine Auseinandersetzung des Jahres 1855, die auch heute noch nicht abgeschlossen zu sein scheint:

Als Herausgeber der Klagenfurter Zeitung wurde Rizzi von der konkurrierenden Zeitung Carinthia (Hg. Simon Martin Mayer) angegriffen, weil er im Feuilleton angeblich einen leichten, unernsten und der Kultur unwürdigen Ton eingeführt habe; darauf konterte Rizzi, den wahren Patriotismus habe prinzipiell niemand für sich allein gepachtet – auch und gerade für einen wirklichen Patrioten sei eine Verbindung von Ernst und Scherz möglich. Denn: nur das Langweilige, das Aufgedunsene und innerlich Hohle müsse das Komische fürchten. Wer hingegen seine Materie beherrsche, der könne sie auch leicht behandeln.

Torej je Vinzenz Rizzi v tako imenovani „Prvi Celovški tiskovalni vojni“ s konkurentom svojega časopisa branil pravo patriota, da v svojem razumevanju kulture poveže resnobo s veseljem. Duhovite komike se mora bati samo dolgočasno, ošabno, notranje votlo prikazovanje.

Primer takšnega mišljenja je ena fotografija na razstavi, ki jo je UNIKUM pripravil lani v sodelovanju s Slovenskim prosvetnim društvom ZARJA: Slika iz leta 1947 prikazuje nemško-nacionalni napis v Velikovcu – na steni lahko uganemo izbrisano nemško besedo „VERRÄTER“ (to je izdajávec) samo iz bele barve na sivíni, ampak za isto besedo, napisano drugič, je očitno uporabljen slovenski pravopis.

Ich habe gerade ein neueres Beispiel für die von Vinzenz Rizzi vertretene Auffassung geschildert, dass aller gebotene Ernst die Komik nicht ausschließt: Im Völkermarkt des Jahres 1947 wurde „Verräter“ an eine Hauswand geschmiert und so gründlich gelöscht, dass die Buchstaben des deutschen Wortes als weiße Spur auf grauem Grund erhalten blieben. In einer neuerlichen Schmiererei erscheint das ursprüngliche Wort wieder, nun allerdings in slowenischer Orthographie: „VERETER“. In der realen Auseinandersetzung der Nachkriegszeit, quasi in der Hitze des Gefechts, wurde dem Schreiber sicher nicht bewusst, dass er damit weniger den deutschen als gerade den slowenischen Anteil an seiner eigenen Sozialisierung zur Schau stellte – eben jener slowenische Anteil der eigenen Gesellschaft, der als das Fremde schlechthin abgespalten und angeprangert werden sollte, wird unfreiwillig als das Eigene ausgewiesen. Im deutsch-nationalen Kontext hingegen stellt da jemand schlicht und einfach seine Halbbildung zur Schau.

Die unfreiwillige Komik dieser historischen Schmiererei gibt sich in der photographischen Wiedergabe zu erkennen, die uns das Universitätskulturzentrum UNIKUM in Zusammenarbeit mit dem Slowenischen Kulturverein ZARJA vor Augen führte; der Titel jener Ausstellung des vorigen Jahres lautete, wie immer zweisprachig: „Zusammen/Stöße – Erinnerungssplitter einer Grenzregion“, „Na/Proti – Drobci z obmejnega obmocˇja“. Und dieser Titel ist, wie auch die geschilderte Photographie, Programm für die Arbeit des UNIKUM:

Emil Krištof und Gerhard Pilgram arbeiten nicht nur geographisch in einer Grenzregion; die Grenze existiert bekanntlich auch in den Köpfen. Diese Situation verlangt Parteinahme und Kritik, aber sind es tatsächlich nur zwei Parteien, für deren eine oder andere man sich entscheiden kann, ja muss? Ist die Wahl tatsächlich eine ausschließliche nach dem Muster ‚Entweder – oder’? In den Kulturwissenschaften wird derzeit, nach dem Ende der großen Machtblöcke und des Kalten Krieges, immer häufiger eine dritte Möglichkeit für Entscheidungen eingefordert, die menschliche Identität betreffen. Unser Duo Krištof / Pilgram gehört zu den Vorreitern dieser Forderung: Seit den Anfängen des UNIKUM setzen sie an die Stelle polemischer Ausschließlichkeit und propagandistischen Pseudo-Ernstes einen spielerischen Umgang mit der Zersplitterung einer Region, die es zu heilen gilt, und mit „heilen“ meine ich „heil machen“ im ureigenen Sinne des Wortes: wieder ganz machen.

Damit steht uns – wie Vinzenz Rizzi es sich gewünscht hatte – der große Ernst vor Augen, mit dem ein spielendes Kind die vielen Teile eines Puzzles zusammensucht und zusammenhält, um daraus sein Bild zusammen zu setzen, ein neues Bild, in dem doch alle vorgeprägten Teile ihren Platz finden. Denn: Spiel bedeutet nicht Willkür, jedes Spiel folgt Regeln, aber seinen eigenen Regeln, und die können durchaus andere sein als die Regeln des so genannten richtigen Lebens. Und wir alle wissen, dass Spielregeln nicht unwiderruflich feststehen, sondern unter Spielern und Spielerinnen gelegentlich neu auszuhandeln sind.

Lahko se tudi mi dogovorimo – na jezikovni preklop:
Če razumemo UNIKUMovo obdelavo neke teme kot resnobno igro, je njihova posebnost v pravilih te igre. Najprej nas zbode v oči, ko nam dvovprega Krištof / Pilgram predloži razširjeno zaznavo, na primer v naravi. Na bolj ali manj dolgih sprehodih nam avtorja okrepita vid, sluh, tip s preprostimi sredstvi – konzervna škatla, obešena na drevesu, zbira zračne tresljaje, prenesene čez veje, in jih pošlje do našega bobniča; lesena greda odpira cel svet zvenenja v potočni strugi; jeklene strune preobrazijo planinsko hišico v velikansko kitaro, na katero se da igrati, in tako dalje. Človeška dojemljivost se, tako rekoč, razmnoži, tako da pridobi posameznik vtise raznih živih bitij iz raznorodnih svetov.

Die Regeln, die das ernste Spiel der UNIKUMsarbeit bestimmen, besagen zunächst, dass unsere normale menschliche Wahrnehmung nicht die einzig mögliche und schon gar nicht die einzig wahre ist – von diesem Vorurteil müssen wir uns auf einer Wanderung mit Emil und Gerhard verabschieden. Statt dessen werden entlang von Wanderwegen mit einfachsten Mitteln neue Versuchsanordnungen aufgebaut, die es – buchstäblich – zu durchlaufen gilt. Eine leere Konservendose wird in einen Baum gehängt, wo sich Schwingungen aus der Luft, übertragen durch die Zweige, in der Büchse fangen und verstärkt werden, so dass das menschliche Trommelfell sie empfangen kann; ein hölzerner Stecken dient gleichsam als Schlüssel zu einer ganzen Welt des Rauschens und Blubberns in einem Bachbett; Stahlsaiten verwandeln eine Almhütte in ein riesiges Saiteninstrument, auf dem wir selber spielen und den Klang der Hütte erfahren können, u. s. w. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass das UNIKUM unsere Sinneswahrnehmung in die Lebensbereiche anderer Lebewesen hinein ausdehnt – unser alltägliches Bild von der Welt verändert sich, sobald wir uns spielerisch auf die Versuchsanordnungen einlassen, in geradezu verblüffender Weise.

Einen Spezialfall der veränderbaren Wahrnehmung stellen für Emil Krištof und Gerhard Pilgram die weißen Flecken in unserer Selbstwahrnehmung und unserer Sicht der eigenen Geschichte dar – betrachten wir diese doch versuchsweise einmal spielerisch, indem wir existierende Sichtweisen konsequent durchspielen! Als Beispiel greife ich die UNIKUMs-Ausstellung „Koffer / Kovček“ des Jahres 2005 heraus: In diesem Koffer wurde volkskundliches Pseudo-Wissen über ‚die Anderen’ in gegenständlicher Form gesammelt. Fragen wie „Bin ich ein Slowene? Ali sem nemec?“, „Wie haust der Slowene?“, „Wie heißt der Slowene?“ oder einfach „Slawisches Blut (dick und schwer)“ wurden samt ihren stereotypen Antworten auf Spielkarten, in Fläschchen und in Schachteln verpackt und in einem Koffer weggeschlossen. Der konkrete Koffer ließ sich aber natürlich auch wieder öffnen – dann kamen die Inhalte wieder zutage … Die historischen Stereotype lassen sich so als ernsthaftes Spiel betrachten, denn sie sind in einem doppelten Sinne aufgehoben: Sie werden aufbewahrt als Überlieferung eines historisch wirksamen Geschehens, zugleich aber werden sie als Stereotype unwirksam: Sie werden nämlich durch die künstlerische Bearbeitung als Stereotype bewusst gemacht und dem erlösenden Lachen preisgegeben.

Und noch eine weitere Spielregel stützt den künstlerischen Umgang des UNIKUM mit seinen Themen: die Regel der strikten Zwei- oder, fallweise, auch Mehrsprachigkeit, um die eine Zugereiste wie ich die Kärntner Sloweninnen und Slowenen nur beneiden kann. Denn: was bedeutet Zweisprachigkeit für menschliches Bewusstsein?

Wir alle übersetzen ständig Eindrücke unserer Sinneswahrnehmung in Sprache. Was hast du gesehen? Hast du das gehört? Wie fühlte sich das an? Wie schmeckt denn das? Die möglichen Antworten, ganz normale alltägliche Sätze, sind jedes Mal Übersetzungen aus dem Medium der angesprochenen Sinnesorgane in Sprache. Wenn solche sprachlichen Formulierungen von Sinneseindrücken nun nicht nur eine, sondern zwei Sprachen zum Ziel haben, dann ergeben sich, vom sprachfähigen Bewusstsein her gesehen, zwei unterschiedliche Perspektiven auf ein und dieselbe Sache. Wer die Welt aber aus zwei Perspektiven sehen kann, sieht sie nicht einseitig, sofern er oder sie den unterschiedlichen sprachlichen Systemen ihre Eigenständigkeit belässt und nicht nur eins zu eins wie ein schlechtes Computerprogramm übersetzt. Dann können sogar Kollisionen verschiedener Sprachsysteme mit leichtfüßigem Ernst herbeigeführt werden, wie etwa in der UNIKUMs-Aktion „Haček (k)lebt“, oder unser Duo richtet einen bunten Mischmasch an und lässt uns mit kindlicher Freude in unserer „Buhštabenzupe“ rühren.

Angesichts dieser künstlerisch-philosophischen Leistungen stelle ich mir seit geraumer Zeit die Frage: Wie kann man sich diese spielerische Leichtigkeit durch so viele Jahre und Projekte hindurch bewahren, ohne in den eigenen Spielregeln zu verknöchern und genau so verbissen zu agieren – nicht wie ‚die’, sondern wie manche anderen? Gibt es eine übergeordnete Regel, gleichsam eine Meta-Spielregel?

Morebitni odgovor na to vprašanje je morda dal eden izmed prejemnikov Rizzijeve nagrade: moj spoštovani kolega in prijatelj Karl Stuhlpfarrer, ki bi se današnje podelitve nagrade UNIKUMu iz srca razveselil. Karla Stuhlpfarrerja so danes dopoldne na Dunaju pospremili na zadnjo pot.

Eine mögliche Antwort auf meine Frage hat vielleicht ein anderer Rizzi-Preisträger gegeben: mein verehrter Kollege und Freund Karl Stuhlpfarrer, der sich über die heutige Verleihung des Preises an das UNIKUM von Herzen gefreut hätte. Karl Stuhlpfarrer ist heute Vormittag in der Feuerhalle Wien-Simmering aus dieser Welt und damit auch aus unserem Leben verabschiedet worden. Wir werden ihn nicht mehr zu uns sprechen hören in seiner ruhigen, überlegten und so oft auch zu spielerischer Ironie geneigten Art. Zum Gedenken an ihn bitte ich Sie um einen Moment des Schweigens und der Erinnerung.

Ich danke Ihnen, hvala. Und ich möchte mir gemeinsam mit Ihnen ein Interview zum Thema „Erinnerungskulturen“ vergegenwärtigen, das Karl Stuhlpfarrer noch im März dieses Jahres meiner Kollegin Alice Pechriggl für die „Philosophische Audiothek“ einer Arbeitsgruppe an der Universität Wien gegeben hat: Sie fragte Carlone, wie er sich gern nennen ließ, auf welche Weise ein einzelner Forscher es überhaupt ertragen könne, sich immer und immer wieder mit all dem Unrecht zu konfrontieren, das den Alpen-Adria-Raum im 20. Jahrhundert so schmerzhaft zersplittert hat. In seiner Antwort nannte er zwei Verhaltensweisen, die ihm wesentlich schienen: Man dürfe sich nie restlos identifizieren, auch nicht mit dem erschütterndsten menschlichen Leid, und v. a. müsse man immer zusammen mit anderen, im Gespräch mit ihnen arbeiten.

Mir scheint, diese beiden Regeln sagen auch etwas über die Arbeit der heurigen Rizzi-Preisträger aus: Auch sie identifizieren sich, aber nie restlos und niemals verbissen, wenn sie in ihren künstlerischen Versuchsanordnungen eine Veränderung des Standortes und damit der Perspektive und der Wahrnehmung anregen – sie bleiben frei, beweglich und leicht. Ein solches Denken tritt dann seinerseits leicht in einen Dialog mit anderen, mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, mit Partnerorganisationen und mit uns, dem Publikum, das in stetig wachsender Zahl mitgeht auf die forschenden Wanderungen – und mit Wanderungen meine ich nicht nur die eigentlichen Exkursionen, sondern sämtliche Aktivitäten des UNIKUM.

Vielleicht hat der Zeitgeschichtler also auch eine Spielregel für die Künstler formuliert? Zu der Vielfalt möglicher Perspektiven, die sich hier eröffnen, kann ich allen abschließend nur gratulieren: den Künstlern Emil und Gerhard, dem Slowenischen Zentralverband, den Historikern und Historikerinnen und uns allen, die wir gemeinsam mit dem UNIKUM in spielerischem Ernst auf unsere Region und unsere Welt schauen dürfen.

[:]