Hans Haider: KÄRNTNER JÜDINNEN UND JUDEN

Teil 3
Protokoll eines Interviews mit Frau Mathilde Wassertheurer verwitwete Gradenegger betreffend Maria Gornik
In den Kriegsjahren bis 1944 wohnte Frau Wassertheurer, verw. Gradenegger, mit ihrem Sohn, dem späteren Abgeordneten zum Nationalrat Hofrat Dr. Johannes Gradenegger, und ihrem Ehemann als Mieter im Haus Adunka in Kiesweg 10 in Villach. Im selben Haus führten Herr Wilhelm Gornik und seine Frau Maria Gornik eine Greißlerei. Ihre Wohnung besaßen sie in der Oberfeldstraße, neben der Familie Raunjak. Herr Wilhelm Gornik hatte seine spätere Frau während des 1. Weltkrieges an der Ostfront kennengelernt. sie hatte ihm dadurch das leben gerettet, dass sie ihn acht Tage lang versteckt hielt. Schließlich heirateten sie. Kinder hatte das Ehepaar keine. Frau Maria Gornik soll das außereheliche Kind des jüdischen Hausherren, bei dem ihre Mutter in Dienst stand, gewesen sein.
Eines Tages im Jahre 1942 wurde Frau Maria Gornik vor der Greißlerei in Anwesenheit von Frau Wassertheurer und ihrem Sohn, damals 10 Jahre alt, verhaftet. Frau Maria Gornik hatte schon längere Zeit davor Angst vor einer Verhaftung mitgeteilt, weil sie „mosaischen Glaubensbekenntnisses“ war. Die Verhaftung erfolgte durch einen zivilen Gestapobeamten und einen uniformierten Polizisten. Frau Maria Gornik wurde in den Gestapo-Arrest, Ankershofengasse in Villach gebracht. Laut Aussage eines Villacher Polizisten wurde sie während der Haft an den Haaren gerissen und geohrfeigt. Auf Bitten von Herrn Wilhelm Gornik faßte Frau Wassertheurer ihren ganzen Mut zusammen und ging in Begleitung ihres zehnjährigen Sohnes und ihrer dreijährigen Tochter, die sie zu ihrem eigenen Schutze mitnahm, zur Inhaftierten. sie brachte ihr RIF-Seife, Kreidezahnpasta, von Herrn Wilhelm Gornik selbst gebackene Kekse und andere Utensilien.
Herr Wilhelm Gornik fuhr in die Reichskanzlei nach Berlin, um eine Enthaftung seiner Frau zu erwirken. Aber er konnte nichts erreichen. Frau Maria Gornik kam ins KZ Auschwitz. Eines Tages erhielt Herr Wilhelm Gornik den Totenschein. Frau Maria Gornik war im KZ verstorben, angebliche Sterbeursache war Lungenentzündung. Weiters erhielt Herr Wilhelm Gornik ein Päckchen, das er in Gegenwart von Frau Wassertheurer und ihrem Sohn öffnete. Darin befanden sich die Ringe und einige Utensilien der Frau Maria Gornik
Quelle: Aufzeichnung eines Gesprächs durchgeführt von Adele Polluk im Jahre 1999.
Frau E. S. aus Villach erinnert sich.
In diesem Haus, heute Peraustraße 33, lebte die Familie Weißberger.
Herr Weißberger war Jude. Eine Villacherin, die damals 9 Jahre alt war, erinnert sich:
Ich war neun Jahre alt und war statt in der vierten Klasse Volksschule in der Vorbereitungsklasse für das Gymnasium. Plötzlich hat man uns mitten aus dem Unterricht geholt und wir mussten alle auf den Hauptplatz marschieren. Das ganze Gymnasium ist unter der Führung der Lehrer zum Hauptplatz marschiert. Dort hat man durch Lautsprecher eine Rede gehört. Irgend etwas von einem Mord in Paris. Ich habe nichts verstanden. Als ich heim kam, sind die Mutter und die Tante weinend in der Küche gesessen. Sie haben vor Aufregung gezittert, weil im Nachbarhaus die Möbel aus dem Fenster geflogen sind, und die Teppiche usw. Sie erzählte, dass Arbeiter in blauer Arbeitermontur mit Lastautos hergeführt wurden. Das war organisiert. Das war kein Volkszorn, sondern die sind aus irgendeiner Fabrik geholt worden und mit dem Lastauto zu den jeweiligen Judenwohnungen gebracht worden. dort haben sie dann alles kaputt gemacht. Sie haben die Gläser mit dem eingekochten gegen die Wand geschmissen und auch die Eier.
Der Herr Weißberger war schon eingesperrt. Die Frau war keine Jüdin, sie war mit der Tochter allein zu Hause und musste alles miterleben.
Spät am Abend ist eine Nachbarin, sie war eine illegale Nazisozialistin, sehr angesehen und konnte sich das erlauben, mit ein paar Kisten zu dieser armen Frau hingegangen und hat ihr die Kisten gebracht, damit sie nicht am Boden sitzen muss, weil die Wohnung war komplett ausgeleert. Am Abend sind die Eltern nachschauen gegangen, ob sie das überall gemacht haben – so viele Juden waren nicht in Villach – und bei den anderen Wohnungen war auch alles auf der Straße.
Nach dem Krieg kamen sie zurück und die Tochter erzählte mir:
„Die gesamte Familie wollte später nach Italien auswandern aber die italienische Grenze war schon zu, und so sind sie nach Jugoslawien geflüchtet. Als die Deutschen in Jugoslawien einmarschiert sind, haben sie sich zu den Partisanen geschlagen. so haben sie die Jahre überlebt.“
Das Paradoxe dabei ist, dass er während des Kärntner Abwehrkampfes in Rosenbach oder Rosegg als Notar tätig war. Jedenfalls hat er sich beim Abwehrkampf verdient gemacht und wurde auch ausgezeichnet. Ein Abwehrkämpfer musste also nach Jugoslawien fliehen um zu überleben. als sie nach dem Krieg wieder zurückkamen, haben sie die Wohnung wiederbekommen. Er hat dann wieder als Notar gearbeitet. Die Tochter hat die Matura als Externistin nachgemacht und dann Bodenkultur studiert.
Quelle: Interview mit Frau E. S. durchgeführt von Herwig Burian, veröffentlicht in alpe adria 4/98
Bericht im “Arbeiterwille” vom 23. 9. 1922 über das von der Sektion Villach des DÖAV erlassene “Judenverbot”:
Die Ortsgruppe Villach des Deutschösterreichischen Alpenvereins hat vor längerer Zeit das Schutzhaus am Dobratsch als Eigentum erworben. Seit einiger Zeit prangen auf diesem Schutzhaus die Worte: „Juden ist der Eintritt in dieses Haus verboten!“ Diese Aufschrift ist natürlich mit dem Zeichen des Hakenkreuzes versehen. Wie wir hören, wurde diese Aufschrift über Beschluss der Ortsgruppe Villach des Deutschösterreichischen Alpenvereines an dem Schutzhause angebracht. Außerdem soll die gleiche Ortsgruppe beschlossen haben, dass der Pachtvertrag, der mit dem Pächter des Schutzhauses abgeschlossen wurde, in dem Momente erlischt, wo der Pächter einem Juden den Eintritt in das Schutzhaus gestattet.
Quelle: Archiv Koroschitz – VIA, zitiert nach www.kärnöl.at
Bericht aus der Heiligengeister Schulchronik aus dem Jahr 1924:
Die hiesige Erian Villa „Alpenheim“ wurde im Frühjahr 1924 vom Besitzer an die akademische Sektion der Naturfreunde um angebliche 60 Millionen Papierkronen verkauft. Diese bewohnten bereits im Sommer 1924 das Gebäude. Hiesige Bevölkerung steht dem Unternehmen ziemlich feindlich gegenüber, erstens weil unter den Erholungssuchenden die meisten oder alle Juden seien, was zum Teil richtig sein dürfte, und zweitens weil alle männlichen wie weiblichen Geschlechtes schamlos nackt neben dem Wege sich zeigen. Letztere Behauptung ist aber völlig übertrieben. Gefertigter hat nur Männer gesehen Luftbäder nehmen und die Neugierde besonders des weiblichen Teils der Bewohner brachte es dahin, dass mit Ferngläsern das Tun und Lassen der genannten Hausinsassen kontrolliert wurde.
Quelle: Heiligengeister Schulchronik 1924.
Die Zeitzeugin Edith Schnattler aus Villach erinnert sich an die „Kristallnacht“:
Ich war damals 11 Jahre alt und bin die Hauptschule gegangen. Wir hatten Nachmittag-Unterricht, der um 13 Uhr begann. Nach der Schule bin ich bis nach Oberwollanig zu Fuß nach Hause gegangen. Im Herbst und im Winter war schon finster, wenn ich heim gekommen bin. An jenem Tag – nach der Schule – sind in der Italienerstraße – Ecke Technischer Hof, beim Fischbachgeschäft – sehr viele Leute herumgestanden. Ich bin näher hingegangen und dort war ein riesiger Haufen mit verschiedenen Sachen – Geschirr, aufgeschlitzte Mehlsäcke, zertrümmerte Möbel- auf dem Gehsteig. Rundherum lagen viele Postkarten verstreut. Eine davon hab ich aufgehoben. Ich konnte das Wort Gallizien lesen. Ein Wort, dass ich nie mehr vergessen habe. Aus dem offenen Fenster im ersten Stock hat Frau Fischbach herausgeschaut. Sie war in Trauer, weil kurz vorher jemand gestorben ist. Ich habe sie gekannt, weil meine Mutter dort öfter eingekauft hat. Sie hat die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und geschrieen: „Mein Gott, mein Gott , so hört doch endlich auf.“ Zwei Männer haben sie an der Schulter gepackt und zurückgerissen.
Ich war erschrocken und habe Angst gehabt. Ich habe das alles nicht verstanden.- Ich wusste nicht was Juden sind. Mein Empfinden war: „Erwachsene sind gewalttätig.“. Als ich endlich daheim war, war es schon ziemlich finster. Ich habe alles meiner Mutter erzählt. Ich wollte, dass sie mir das alles erklärt. Meine Mutter sagte nur: “Mein Gott, was die da treiben, auch für die wird noch die Stunde kommen.“
Später, als ich schon in die LBA (Lehrerbildungsanstalt) gegangen bin, habe ich in Villach öfter einen Mann mit einer gelben Armbinde und einem schwarzen Judenstern gesehen. Er hat immer auf den Boden geschaut. Nach dem Krieg bin ich draufgekommen, dass das der Herr Zwerling vom Oberen Heidenweg gewesen ist. Der Zwerling hat diese Zeit überlebt.
Quelle: Aufzeichnung eines Interviews des Autors vom 7.Oktober 1998
Frau Elsa Schluga, Tochter von Robert Deman, ist 1931 in Wien geboren und lebt seit 1938 in Villach, auf der Heide Nr. 2. Als „Halbjüdin“ hatte sie immer Angst entdeckt zu werden. Sie erinnert sich:
Mein Vater wurde im Juni 1939 verhaftet weil er Jude war. Er arbeitete als Vertreter in der Textilbranche. Gleich nach dem Anschluss im März 1938 haben mich meine Eltern aus Sicherheitsgründen zu meiner Tante nach Villach geschickt. Meine Mutter, geb. Johanna Planer aus Steindorf am Ossiachersee, ist nach England gefahren und bemühte sich dort vergebens um ein Ausreisevisum für ihren Mann. Mein Vater und meine Großmutter wurden im Juni 1939 verhaftet und deportiert und die Wohnung wurde beschlagnahmt. Dann ist meine Mutter nach Villach gekommen und wir lebten alle zusammen bei der Tante auf der Heide Nr. 2. Den letzten Brief von meinen Vater erhielten wir aus Polen. Ich glaube die Stadt hieß Tarnopol oder so ähnlich. Leider sind die wenigen Briefe, die wir von ihm hatten, verloren gegangen. Als in Villach herumgemunkelt wurde, dass ich die Tochter eines Juden bin, schwebten wir in großer Gefahr, man wollte meine Mutter und mich verhaften und deportieren. Wir hatten Glück. Mein Onkel, er war ein Nazi, erzählte seinen Parteikameraden, dass ich eigentlich das Kind eines Italieners sei, das meine Mutter in die Ehe mit Robert Deman mitbrachte. Gott sei Dank haben die Nazi nicht genau nachgeforscht und so überlebten wir. Wir hatten immer Angst.
Quelle: Aufzeichnung eines Gesprächs des Autors mit Frau Elsa Schluga im Juli 1999
Kundgebung der Deutschen Arbeitsfront in Wolfsberg
Wolfsberg. Sonntag den 10. Juli abends sprach Parteigenosse Seifert aus Hannover in einer Versammlung der Deutschen Arbeitsfront im Theatersaale in Wolfsberg zu einer großen Menge deutscher Volksgenossen. Nach der Begrüßung durch den Kreisleiter der Deutschen Arbeitsfront, Parteigenossen Ramschak, entwickelt Parteigenosse Seifert in klarer und überzeugender Rede den Werdegang der Deutschen Arbeitsfront, die Ursachen ihrer Gründung, den Zweck derselben, schilderte zusammenfassend den Beginn der marxistischen Epoche, die Art des jüdischen Einflusses, ihre Folgen, wie sie den Arbeiter im Kampf gegen den Kapitalismus zu ihren Knechten und durch schändlichsten Verrat zum Proleten machten und missbrauchten. Wie die jüdische Bande durch Gründung von Gesellschaften, Freimaurerlogen und Bünden (Bibelforscher) usw., sich die Macht eroberte, um das deutsche Volk zu unterjochen, bis endlich die bewusst gewordene Volksfront alle Fesseln abwarf und der freie Weg zum Aufbau offen stand. Alle Errungenschaften im Rahmen der Deutschen Arbeitsfront zeigte der Redner in klaren Ausführungen auf und schloss mit einem Hinweis auf die Schönheiten der Ostmark, die nun die große Tat des Führers dem Deutschen Reich zuführte; weiter gedachte er der Getreuen, die im Kampf um Deutschlands Freiheit ihr Leben lassen mussten, dieses einsetzten für die Wiedererstehung unseres Volkes.
Quelle: Kärntner Volksblatt, 17. 7. 1938, zitiert nach Andrea Lauritsch, Die Juden in Wolfsberg.
DER KÄRNTNER ODILO GLOBOČNIK UND
DIE AKTION REINHARD
Auch heute noch ist die “Aktion Reinhard”, bei der unter der Leitung des Kärntners Odilo Globočnik der Massenmord an den europäischen Juden in den polnischen Todeslagern Treblinka, Belzec und Sobibor organisiert und durchgeführt wurde, kein selbstverständlicher Teil des österreichischen Geschichtsbewusstseins. Auch in den Schulen kümmert man sich kaum um die Vermittlung dieses Kapitels unserer Geschichte, bei der die zwei Kärntner Odilo Globočnik und der Klagenfurter Kaffehausbesitzer Ernst Lerch führend beteiligt waren. Seiner direkten Verantwortung hat sich Globočnik, dessen Name untrennbar mit dem organisierten Massenmord an Juden – Männern, Frauen und Kindern – verbunden bleiben wird, nach der Niederlage des nationalsozialistischen Regimes durch Selbstmord entzogen. Ernst Lerch hatte mehr Glück. Er lebte als angesehener Besitzer eines Tanzcafes bis zu seinem Tode in Klagenfurt.
Das Ziel der „Aktion Reinhard“ wurde auf der Wannseekonferenz in Berlin im Jänner 1942 festgelegt und bestand in der Ermordung der über zwei Millionen Jüdinnen und Juden, die damals im Generalgouvernement in Polen, größtenteils in verschiedenen Ghettos zusammengepfercht, lebten. Die Vorbereitungen zu dieser Mordaktion begannen aber schon im November 1941. Heinrich Himmler – Reichsführer SS – beauftragte den SS- und Polizeiführer des Distriktes Lublin, Odilo Globočnik, von Himmler liebevoll Globus genannt, mit den Ermordungen.
Das Hauptquartier des Unternehmens war in Lublin und hatte folgende Aufgaben zu bewältigen:
1. Gesamtplanung der Deportationen
2. Planung und Errichtung von Vernichtungslagern
3. Koordinierung der Deportationen aus den fünf Distrikten des Generalgouvernements und von auswärts
4. Konfiszierung von Besitz und Wertgegenständen der Opfer und ihre Ablieferung an die Behörden im Reich
Das Personal, das Odilo Globočnik für dieses Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde, bestand aus einer Gruppe von ungefähr hundert Männern unter der Leitung von Kriminalkommissar Christian Wirth, der schon bei der Tötung von behinderten Menschen, der sogenannten T4-Aktion, beteiligt war und somit seine “Erfahrungen” im Gebrauch von Gas bei der Tötung von Menschen einbringen konnte. Auch die Kommandanten der eigens dafür errichteten Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka hatten schon einschlägige Erfahrung bei der T4-Aktion gesammelt. Wie bei der T4-Aktion verwendete man zur Tötung Abgase von Dieselmotoren mit einem hohen Gehalt an Kohlenmonoxid.
Die Wachmannschaften der Vernichtungslager bestanden hauptsächlich aus sowjetischen Kriegsgefangenen, meistens Ukrainer, die sich freiwillig gemeldet hatten. Sie wurden im SS-Ausbildungslager Trawniki zusammengezogen, wo sie Waffen, schwarze Uniformen und eine kurze Ausbildung erhielten. Jedem Vernichtungslager wurden etwa 100 „Trawniki-Männer“, so wurden sie von der Bevölkerung genannt, zugeteilt. Ferner wurden „Trawnikis“ auch bei den Deportationen aus den Ghettos in die Lager eingesetzt. Die Lager wurden aus Verschleierungsgründen möglichst weit entfernt von den Bevölkerungszentren, jedoch in der Nähe von Eisenbahnlinien, errichtet. Offiziell sagte man, dass die Juden umgesiedelt werden, um zu arbeiten.
Als erstes Lager wurde zwischen November 1941 und März 1942 das Lager Belzec errichtet. Die Morde begannen dort Mitte März 1942. Das Lager Sobibor wurde im März und April 1942 errichtet. Hier begann man mit dem Morden Anfang Mai 1942. Das Lager Treblinka wurde im Juni und Juli 1942 erbaut. Die Morde begannen dort Ende Juli 1942 mit den Massendeportationen aus dem Warschauer Ghetto. Die Opfer wurden in riesigen Gruben begraben. Um sämtliche Spuren und Beweise für die begangenen Verbrechen auszulöschen, wurden Ende 1942 und Anfang 1943 die Leichen wieder ausgegraben und auf riesigen Scheiterhaufen verbrannt. Zur Beseitigung der Leichen aus den Gaskammern wurden jüdische Gefangene eingesetzt, die auf diese Weise zunächst der Vergasung entgingen. Sie wurden einige Wochen später getötet und durch Neuankömmlinge ersetzt. Niemand blieb längere Zeit am Leben.
Die Deportationen aus den Ghettos erfolgten immer nach dem gleichen Muster. Die entscheidenden Faktoren waren Überraschung, Geschwindigkeit, Terror und die Ungewissheit der Opfer über ihr wahres Schicksal. In der Regel wurden die Juden zu Fuß aus dem Ghetto zum Bahnhof gebracht und in Güterwaggons verladen. Die Waggons waren bis zum Ersticken überfüllt. Die Fahrt vom Verladebahnhof zum Vernichtungslager, die unter normalen Bedingungen einige Stunden dauerte, währte manchmal Tage, wobei die Züge viele Stunden lang angehalten wurden. Wegen der Bedingungen in den Waggons – Überfüllung, kein Wasser, keine sanitären Einrichtungen, Hitze im Sommer, Kälte im Winter – starben viele Insassen während der Fahrt. Wenn die Züge in den Todeslagern ankamen, befanden sich oft Dutzende Leichen in den Waggons.
Als im Juli 1942 die Morde im Lager Treblinka begannen, erfolgten die Deportationen mit einer solchen Geschwindigkeit, dass es zu wenig Züge für die Transporte gab. Zu dieser Zeit war der deutsche Angriff auf Stalingrad und dem Kaukasus auf seinem Höhepunkt, und die Wehrmacht hätte dringend sämtliche Züge für Material und Verstärkung benötigt. Heinrich Himmler intervenierte persönlich bei dem für die Deutsche Reichsbahn verantwortlichen Staatsekretär, damit die notwendigen Züge für die Deportation der Juden zur Verfügung gestellt wurden.
Nicht alle Juden im Generalgouvernement fanden ihr Ende in den Vernichtungslagern. Tausende wurden dort erschossen, wo sie gelebt haben. Allein im Distrikt Lemberg wurden über 250.000 Juden bei lokalen „Aktionen“ ermordet. Im Rahmen der „Aktion Reinhard“ wurden auch etwa 5000 österreichische Sinti und Roma, die im November 1941 ins Generalgouvernement deportiert wurden, ermordet. Darunter viele Kärntner Sinti.
Nach deutschen Angaben befanden sich Ende Dezember 1942 noch etwa 300.000 Juden im Generalgouvernement. Zwischen Jänner 1943 und Juni 1943 wurden die Ghettos im Generalgouvernement aufgelöst und die meisten verbliebenen Jüdinnen und Juden in Vernichtungslager deportiert. Mehrere Zehntausende, vor allem junge und ausgebildete Arbeiter wurden in Arbeitslager überstellt. Am Ende des Jahres 1942, als die Deportationen aus dem Generalgouvernement ihrem Ende zugingen, wurde das Unternehmen auf Juden aus dem Bezirk Bialystok ausgedehnt. Dabei handelte es sich um etwa 200.000 Personen. Die meisten davon wurden nach Treblinka deportiert.
Im Verlauf der „Aktion Reinhard“ wurden ungeheure Werte erbeutet, die die Juden durch ihre Arbeit über hunderte von Jahren angesammelt haben. Bereits im Sommer 1942 waren rund 50.000.000 Reichsmark in Papier, Devisen, Münzen und Schmuck sowie rund 1.000 Waggons Textilien vorhanden. Die deportierten Juden nahmen mit was ihnen gestattet wurde, einschließlich Bargeld und Wertgegenstände. All das wurde ihnen in den Lagern, in denen sie getötet wurden, von den Bewachern abgenommen. Von Odilo Globočnik wissen wir, dass er mit Raubgut aus der „Aktion Reinhard“ nach Kärnten kam, und bei Blasmusik und Kärntner Chorgesang Wintermäntel, Schuhe usw. an bedürftige Kärntner verteilte, die ihn bei dieser Gelegenheit hochleben ließen.
Die „Aktion Reinhard“ wurde Anfang November 1943 durch die „Aktion Erntefest“ fortgesetzt und beendet. Nach einem Aufstand im Vernichtungslager Sobibor gab Himmler aus Sorge vor weiteren Unruhen den Befehl, alle Juden in den Arbeitslagern Trawniki, Poniatowa und im Vernichtungslager Lublin-Maidanek zu erschießen. Am 3. und am 4. November 1943 wurden von einigen tausend SS-, Polizei- und Waffen-SS-Angehörigen die Erschießungen vorgenommen. Insgesamt wurden an diesen beiden Tagen im „Schichtbetrieb“ etwa 40.000 Personen erschossen, einschließlich vieler Frauen und Kinder aus dem Warschauer Ghetto. Die jüdischen Arbeitskommandos, die die Toten verbrennen und begraben mussten, wurden anschließend ebenfalls liquidiert. Das war eine der letzten Aktionen im Generalgouvernement. Damit endet die „Aktion Reinhard“, bei der im Laufe von 18 Monaten ungefähr 2 Millionen Jüdinnen und Juden und einige Tausend Sinti und Roma ermordet wurden.
Beim Ende der „Aktion Reinhard“ war Odilo Globočnik nicht mehr in Lublin. Er wurde im September 1943 auf Wunsch seines Freundes, des Kärntner Gauleiters Friedrich Rainer, von Himmler mit einem Teil seines Stabes nach Triest versetzt, wo ihm die Aufgabe übertragen wurde den oberitalienischen Raum „judenfrei“ zu machen. Zu diesem Zweck wurde eine alte Reisfabrik im Stadtteil San Sabba von Triest in ein KZ und Polizeihaftlager umgebaut. Das Konzentrationslager Risiera di San Sabba diente somit einerseits als Sammelstelle für die Deportationen der Jüdinnen und Juden nach Deutschland und Polen und andererseits als Vernichtungslager für Partisaninnen und Partisanen.
Am 1. Mai 1945 erhielt Odilo Globočnik den Befehl die zurückweichenden deutschen und verbündeten Truppen auf der Höhe von Gemona zum Stehen zu bringen und eine neue Verteidigungslinie zu errichten. Diese Linie sollte bis zum letzten Mann gehalten werden, damit der Gauleiter von Kärnten, Friedrich Rainer, „die restlose Ausschöpfung der Wehrkraft des Gaues Kärnten organisieren könne“. Diesen Befehl hat Globočnik nicht mehr ausgeführt, denn er schloss sich jenen Einheiten an, die sich über den Plökenpass nach Kärnten zurückzogen. Am 4. Mai jedenfalls war Globočnik gemeinsam mit seinem Adjutanten Ernst Lerch in Kötschach-Mauthen, wo er auf dem Marktplatz noch eine Rede zur dortigen Bevölkerung gehalten haben soll: „Es sie kein Grund zur Besorgnis vorhanden, da genügend Truppen im Anmarsch seien, um den Karnischen Hauptkamm zu besetzen und die Briten aufzuhalten, wie das ja im Jahre 1915 gegen die Italiener gelungen sei.“ (zitiert nach Siegfried Pucher, “….in der Bewegung führend tätig” Odilo Globocnik – Kämpfer für den Anschluss und Vollstrecker des Holocaust, Drava-Verlag, ISBN 3-85435-278-6, Seite 140.)
Im Laufe der nächsten Tage flüchtete Globočnik auf die Mößlacher Alm, in eine Almhütte an der Ostseite des Weißensees, wo er sich mit Friedrich Rainer, Ernst Lerch und anderen „Kameraden“ versteckte. Am 31. Mai 1945 wurden sie von einer britischen Patrouille verhaftet. Die Verhafteten wurden nach Paternion auf den Gutshof des Grafen Foscari gebracht und erstmalig verhört. Dort beging Globočnik Selbstmord indem er eine Zyankalikapsel schluckte. Globočnik war als Kriegsverbrecher bekannt und wäre mit Sicherheit an Polen ausgeliefert worden. Der britische Vernehmungsoffizier hatte Globočnik die Auslieferung bereits mitgeteilt. Die Angst mit seinen Verbrechen konfrontiert zu werden, dürfte das entscheidende Motiv für den Selbstmord gewesen sein. Globočnik wurde mit einem Militärlastwagen zur Drau gebracht und dort verscharrt. Niemand weiß wo und das ist gut so.
Quellen: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, herausgegeben von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß, 3. Auflage 1998, dtv, ISBN 3-423-33007-4. Enzyklopädie des Holocaust, herausgegeben von Eberhard Jäckl, Peter Longerich und Julius H. Schöps, Serie Piper Band 2121. “….in der Bewegung führend tätig” Odilo Globocnik – Kämpfer für den Anschluss und Vollstrecker des Holocaust, herausgegeben von Siegfried Pucher, 1997, Drava-Verlag, ISBN 3-85435-278-6.
LITERATURLISTE
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Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Theresienstädter Gedenkbuch, Prag 2005, ISBN 3-8258-7590-3
Elste Alfred / Hänisch Dirk, Auf dem Weg zur Macht, Beiträge zur Geschichte der NSDAP von 1918 bis 1938. Wien 1997, Braumüller
Elste Alfred / Pucher Siegfried, Kärntens braune Elite. Klagenfurt /Celovec 1997, Verlag Hermagoras / Mohorjeva
Elste Alfred, Spittal in der NS-Zeit, Ein Artikel im Buch „800 Jahre Spittal“, Spittal 1991, Herausgeber: Stadtgemeinde Spittal
Gutman Israel / Jäckel Eberhard / Longerich Peter u. a., Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Piper Verlag, München
Herschy Reg, Freedom at midnight. 1938-1955: A story of the traumatic years of occupation,
Upton upon Severn, Worcestershire 1989, Eigenverlag
Koroschitz Werner, Alles Dobratsch, Klagenfurt 2002, Drava Verlag, ISBN 3-85435-392-8
Koroschitz Werner, Der Onkel aus Amerika, Klagenfurt 2006, Drava Verlag,
ISBN-10: 3-85435-476-5
Lagger Hans, Die Wahrheit über Dachau. Verlag der Opferfürsorge der SPÖ für ehemals politisch Verfolgte, Klagenfurt
Lauritsch Andrea, Wo ist dein Bruder? Novemberpogrom 1938 in Kärnten. Villach 1998,
Zeitschrift „alpe-adria 4/94“
Pucher Siegfried, „……in der Bewegung führend tätig“. Odilo Globočnik – Kämpfer für den
„Anschluß“, Vollstrecker des Holocaust. Klagenfurt / Celovec 1997, Drava Verlag
Rumpler Helmut / Burz Ulfried / Amann Klaus u.a., März 1938 in Kärnten, Fallstudien und Dokumente zum Weg in den „Anschluß“, Klagenfurt 1998
Stuhlpfarrer Karl, Die Operationszonen „Alpenvorland“ und „Adriatisches Küstenland“
1943 – 1945. Wien 1996, Verlag Brüder Hollinek
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Walzl August, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich. Klagenfurt 1987, Universitätsverlag Carinthia
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Walzl August, Die Bewältigung, Nachkriegsjahre in Kärnten und Friaul, Klagenfurt 1999, Kärntner Druck-und Verlagsgesellschaft
Walzl August, Villach zwischen den Zeiten, Die Geschichte der Draustadt 1945 – 1995,
Klagenfurt 1995, Verlag Carinthia