Rede von Chefredakteur Patterer anlässlich der Kulturpreisverleihung an die Konsensgruppe

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Die Brückenbauer

Kärnten läuft. So lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe, den sich das Land rechtlich schützen ließ. Eine Selbstbeschreibung. Trifft sie zu? Wer nicht im Land lebt, sich ihm in der Ferne nahe fühlt, nimmt Paradoxes wahr. Kärnten läuft, und doch steht es auf bedrückende Weise still. Die Bewegung erinnert an das Laufen auf einem dieser automatisierten Gummibänder im Fitnesscenter. Man läuft, aber man kommt nicht voran. Man will nirgendwo hin, das aber mit erhöhtem Puls. Es ist nicht vorgesehen, dass man abweicht, abbiegt, inne hält, die Richtung ändert oder gar kehrt macht. Man bewegt sich, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Das einzige Ziel ist die Ermüdung.
Das ist das Bild, das den Streit um die Kärntner Ortstafeln von außen beschreibt und damit die Motorik des politischen Systems, das man „die Kärntner Verhältnisse“ nennt.
Die Mitglieder der Kärntner Konsensgruppe – was für ein spröder Name für dieses wunderbare Märchen – haben sich dem Sog und dem Diktat des Laufbandes widersetzt. Sie sind abgesprungen. Sie haben nicht mehr mitgemacht. Sie sind aus ihren Rollen gestiegen. Sie haben erkannt, dass sich nie etwas ändern würde, wenn sie auf dem Laufband ihrer einzementierten Argumente, auf dem Laufband ihrer alten Vorbehalte und des Fingerzeigs, weiter rennen. Sie haben Schluss gemacht mit dem Aufrechnen und Gegenrechnen.
Sie haben sich von den Gitterstäben ihrer Denkmuster befreit und haben den Blick geweitet. Sie haben mit den Augen des anderen denken und fühlen gelernt. Sie haben erkannt, dass auch der andere Geschichte schultert, Erinnerung, Erinnerungsballast, Erlittenes und Erfahrenes, Unvernarbtes, und dass das unentwegte Wühlen und Stochern im Vergangenen nicht heilt, nicht lindert, sondern unfrei macht und gemeinsame Zukunft versperrt.
So haben die ehemaligen Kontrahenten des Kärntner Heimatdienstes und der Slowenenverbände, die einander über Jahrzehnte in ihren ideologischen Schützengräben feindselig gegenüberstanden – und wir kennen alle ihre früheren Depots – einen spektakulären Lern- und Wandlungsprozess durchgemacht, der den Beobachter, der sie von früher kennt, beglückt und staunend die Augen reiben lässt, so märchenhaft erscheint diese Umkehr der Falken.
Sie erzählen in Büchern und Interviews von ihren Barrieren im Kopf, und wie sie sich im offenen Gespräch mühevoll davon frei gemacht haben. Sie leben vor, wie Verständigung und Aussöhnung gelingen kann, ohne sich zu verleugnen. Sie leben zivile Courage. Sie nehmen Nachteile in Kauf. Sie riskieren etwas. Sie setzen sich aus. Sie verlassen ihre Festungen. Sie gehen ein Wagnis ein, das Wagnis der üblen Diskreditierung aus den eigenen Reihen, hüben wie drüben.
Sie nehmen hin, dass man sie schmäht, dass man sie des Überläufertums und des Gesinnungsverrats bezichtigt. Aber sie bleiben unbeirrt. Sie halten an jenem Bekenntnis zum Dialog fest, den Friedrich Heer in seinem Buch „Gespräch der Feinde“, bezogen auf Europa, 1949 so eindringlich eingemahnt hat: „ . . . die Gegensätze in fruchtbarer Spannung miteinander ringen lassen, niemals zu einer Übermachtung des Gegners kommen“:
Da sind Josef Feldner und Marjan Sturm, Heinz Stritzl und Bernard Sadovnik schon weiter. Sie teilen Podien und schreiben gemeinsam Manifeste. Sie leben vor, wie eine gemeinsame Kultur des Feierns und des Erinnerns ausschauen könnte, ohne sich über den anderen zu erheben, ohne Wunden aufzureißen, ohne aufzutrumpfen, ohne sich als Opfer fortzuschreiben, ohne Geschichte zu leugnen.
Sie gehen hinaus zu den Menschen, um ihnen die Ängste und Vorurteile zu nehmen, dort, wo sie tief sitzen und an der Wurzel behandelt werden müssen. Die Prediger der Vernunft sind glaubwürdig, weil sie sich die Ängste selbst genommen haben. Sie werben für die Einsicht, dass eine zweisprachige Ortstafel im Jahr 2009 kein okkupatorisches Symbol mehr ist, kein Symbol der Besitzergreifung, der Begierde, sondern ein Kulturdenkmal, das auf gemeinsame Wurzeln verweist, eine Kulturtafel, wie Valentin Inzko sagt, äußeres Zeichen gemeinsamer Identität und Geschwisterlichkeit.
Die Mahner gehen noch ein Stück weiter. Sie belassen es nicht beim Appell. Sie gehen hinein in den Steinbruch. Sie erarbeiten für die Politiker Vorschläge und Lösungen. Sie gehen voran. Sie üben sanften aufklärerischen Druck von unten, der eigentlich von oben kommen sollte, aber der Druck von oben ist nur repressiv und nicht emanzipatorisch.
Sie sind ein Beispiel besten Bürgersinns.
Für die Herrschenden im Land ist Konsens, der von unten kommt, etwas Unheimliches und Bedrohliches, etwas, das ihnen nicht ins Blatt passt. Wer nicht den besseren Menschen will, wer keine humanere Gesellschaft im Sinn hat, wer nicht eint und zusammen führt, sondern im Gegenteil Vorurteile und Ängste für sein politisches Geschäft benötigt, um daraus Kapital zu schlagen, in alter Währung, für den ist Konsens und Verständigung etwas Subversives, ein Ärgernis, politische Geschäftsschädigung. Nur so ist die Niedertracht und herablassende Ignoranz zu begreifen, mit der die hiesigen Machthaber den Mitgliedern der Konsensgruppe begegnen, bis zum heutigen Tag.
Ausgerechnet die, die zuvor den Wappensaal des Landtages als Kulisse für das Knipsen von propagandistischen Wahlkampf-Fotos missbrauchten, verwehrten es dem Europäischen Parlament, der Konsensgruppe im Wappensaal den Bürgerpreis der EU zu verleihen. Nur wer „im öffentlichen Interesse“ dort hin wolle, erhalte Zutritt, da könne ja jede Schulklasse daherkommen.
So sprachen sie.
Ein solches Konzentrat an Verstiegenheit, Anmaßung und zivilisatorischer Selbstentblößung ist in keinem anderen Bundesland heute mehr denkbar. Genauso wenig, wie es heute anderswo denkbar wäre, dass zu einer Gedenkfeier wie hier auf dem Loibl, wo einst KZ-Häftlinge mit Händen den Tunnel gruben, und wo die beiden Staatspräsidenten Sloweniens und Österreichs der Gräuel gedenken, der amtierende Landeshauptmann unten im Tal bleibt.
In jedem anderen Bundesland wären auch heute abend die Spitzen des Landes anwesend, um das Toleranz-Werk der Konsensgruppe als rühmendes Beispiel für Bürger-Engagement, für die Wandlungsfähigkeit des Einzelnen, für Läuterung, Selbst-Entgrenzung, für europäisches Bewusstsein und Zivilgesellschaft zu würdigen.
Nicht hier.
Hier müssen sich die Mitglieder der Konsensgruppe von der Landeshauptmann-Partei, das sich Bündnis Zukunft nennt, als „slowenophile Zündler“ denunzieren lassen, als gekaufte Söldner Wolfgang Schüssels, die aus niederen, selbstsüchtigen Motiven gehandelt hätten.
Aber die infamen Anschuldigungen treffen nicht die, gegen die sie sich richten. Sie demaskieren die Ehrabschneider und ihre Unanständigkeit. Sie legen deren geistig-moralische Hohlräume offen.
Auch der Kärntner Abwehrkämpferbund empfindet die heutige Auszeichnung der Stadt Villach als Provokation, den Brückenbau der Preisträger als Zumutung. Der Verband hat aufgerufen, die seit jeher gemeinsam mit der Stadt Villach geplanten Feiern zum 10. Oktober zu boykottieren. Auch das: verzweifelte Entblößungen, weit draußen an den Rändern. Welche Traditionen meinen die Traditionsträger zu tragen? Die Tradition der damaligen Abwehrkämpfer wohl kaum. Hätten die sich gegen ein Miteinander im eigenen Land erhoben?
Hier ist aus Mut Kleinmut geworden, schreibt der ehemalige Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Heinz Stritzl. Das hätte er früher so wohl nicht formuliert und so wohl auch nicht durchgehen lassen, aber es ist gut und wichtig, dass er es jetzt tut, ein schöner Fall von Weitung.
Wo nichts mehr abzuwehren ist, dort wartet auf einen Abwehrkämpferbund keine Aufgabe mehr. Der Verlust des Feindbildes stellt die eigene Existenz in Frage. Hat man wegen dieser Verlust- und Legitimationsängste ein Interesse daran, dass die Gegensätze und die Gräben offen bleiben? Die Auflehnung des Abwehrkämpferbundes hat etwas Tragisches. Man darf verständnislos mild bleiben und weiter hoffen.
Mehrheitsfähig ist all das längst nicht mehr, genau so wenig wie es das verächtliche Verhalten des BZÖ gegenüber den Preisträgern ist. Der erhoffte Applaus wird ihm versagt bleiben. Der Kärntner Mainstream ist längst bei der Vernunft und nicht mehr bei den Gestrigen. Die Menschen sind müde geworden auf dem Laufband. Sie sind längst weiter im Denken als die Kärntner Politik und ihre Wirklichkeit, die eine ungesühnte fortgesetzte Rufschädigung des Landes darstellt.
Es gibt längst ermutigende Gegen-Wirklichkeiten. Die Gegenwirklichkeit der Jungen, die nach vorne blicken, die europäisch denken und die Grenzen ziemlich uncool finden; die Gegen-Wirklichkeit des kreativen Vulkans der Maler und Dichter, die Gegen-Wirklichkeit eines Florian Lipus, eines Valentin Oman, eines Josef Winkler, zu dessen Filmvorführung im Sommer 600 Menschen strömten, als warte ein Pop-Poet, wo gibt es das; die Gegen-Wirklichkeit der Kärntner Wirtschaft, die die Gespenster der Vergangenheit Gespenster sein ließ, die sich früh öffnete und neue Märkte erschloss, mit einer Entschlossenheit, die bei den slowenischen Nachbarn und nicht bei uns Okkupationsängste wach rief; die Gegen-Wirklichkeit der vielen kleinen und großen Gourmets, die das kulinarische Dreiländereck Kärnten-Slowenien-Friaul längst als sinnliche Genuss-Oase entdeckt haben; die Gegen-Wirklichkeit des Sports, wo Eishockey-Vereine aus Kärnten und Slowenien, in einer mehrsprachigen Liga vereint, Woche für Woche gemeinsam dem Puck nachjagen, senza confini.
All diese Gegen-Wirklichkeiten, die in die Zukunft weisen, haben mehr Leuchtkraft als die bleierne Wirklichkeit der Kärntner Politik, als die öde Wirklichkeit des offenen, ermüdenden, ewig ungelösten Ortstafelkonflikts.
Kärnten läuft, und Alles läuft in Kärnten über das Gefühl. Man spürt das in den Liedern, die wehrlos machen, deren Melancholie vom Wissen um die Endlichkeit des Seins erzählt, vom Leben, das bald uma ist und vom Verlassensein, Bob Dylan auf Kärntnerisch, wenn man so will. Wenn die Gefühlsschleusen sich so leicht öffnen lassen, ist das schön, aber schön gefährlich. Man ist leichter verführbar als anderswo, wo es nüchterner und melodieärmer zugeht. Man ist empfänglich für die, die mit den Gefühlen spielen, und es gibt immer noch zu viele, die mit sich spielen lassen. Das Selbstbewusstsein ist da, aber es ist brüchig. Es schlägt schnell um in Beleidigtheit und die lässt sich, wie man weiß, politisch kultivieren und missbrauchen: Gegen die draußen. Gegen die Außenwelt. Gegen Wien. Dann bricht das Selbstbewusstsein und wird ängstlich und atmet schwer. Dann ist plötzlich der Andere, die andere Sprache ein Identitätsproblem. Dann sucht man Zuflucht in der Abgrenzung, im Gestern, in den alten Schützengräben. Gegen dieses leichte rasche Kippen dessen, was man „Kärntner Seele“ nennt, ist die Bewusstseins- und Überzeugungsarbeit dieser Konsensgruppe ein Schutzwall.
Er sei der Harmonie dieser Kärntner Landschaft verfallen, bekannte Valentin Inzko unlängst in einem Interview in der Kleinen Zeitung, und er weigere sich, sagte er, die Hoffnung aufzugeben, dass diese Harmonie eines Tages auch in den Menschen, die im Süden Kärntens zusammenleben, irgendwann ihren Niederschlag finden wird.
Bernard Sadovnik, Josef Feldner, Heinz Stritzl, Marjan Sturm, Stefan Karner _ diese starke geistige Kärntner K-FOR-Truppe, bringt die Hoffnung ihrer Erfüllung ein Stück näher. Ihr Friedens- und Toleranzprojekt lädt ein, aus dem Gefühlsschutt und den Kerkerlöchern der Vergangenheit herauszutreten. Das ist eine kulturelle Großtat, die Respekt und Achtung und Ermutigung verdient. Das ist Kärntner Heimat-Dienst.
Er fordert die Kärntner Politik heraus, nein, er beschämt sie. Sofern sie zu Scham fähig und bereit ist.
Herzlichen Glückwunsch.[:SL]

Die Brückenbauer
Kärnten läuft. So lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe, den sich das Land rechtlich schützen ließ. Eine Selbstbeschreibung. Trifft sie zu? Wer nicht im Land lebt, sich ihm in der Ferne nahe fühlt, nimmt Paradoxes wahr. Kärnten läuft, und doch steht es auf bedrückende Weise still. Die Bewegung erinnert an das Laufen auf einem dieser automatisierten Gummibänder im Fitnesscenter. Man läuft, aber man kommt nicht voran. Man will nirgendwo hin, das aber mit erhöhtem Puls. Es ist nicht vorgesehen, dass man abweicht, abbiegt, inne hält, die Richtung ändert oder gar kehrt macht. Man bewegt sich, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Das einzige Ziel ist die Ermüdung.
Das ist das Bild, das den Streit um die Kärntner Ortstafeln von außen beschreibt und damit die Motorik des politischen Systems, das man „die Kärntner Verhältnisse“ nennt.
Die Mitglieder der Kärntner Konsensgruppe – was für ein spröder Name für dieses wunderbare Märchen – haben sich dem Sog und dem Diktat des Laufbandes widersetzt. Sie sind abgesprungen. Sie haben nicht mehr mitgemacht. Sie sind aus ihren Rollen gestiegen. Sie haben erkannt, dass sich nie etwas ändern würde, wenn sie auf dem Laufband ihrer einzementierten Argumente, auf dem Laufband ihrer alten Vorbehalte und des Fingerzeigs, weiter rennen. Sie haben Schluss gemacht mit dem Aufrechnen und Gegenrechnen.
Sie haben sich von den Gitterstäben ihrer Denkmuster befreit und haben den Blick geweitet. Sie haben mit den Augen des anderen denken und fühlen gelernt. Sie haben erkannt, dass auch der andere Geschichte schultert, Erinnerung, Erinnerungsballast, Erlittenes und Erfahrenes, Unvernarbtes, und dass das unentwegte Wühlen und Stochern im Vergangenen nicht heilt, nicht lindert, sondern unfrei macht und gemeinsame Zukunft versperrt.
So haben die ehemaligen Kontrahenten des Kärntner Heimatdienstes und der Slowenenverbände, die einander über Jahrzehnte in ihren ideologischen Schützengräben feindselig gegenüberstanden – und wir kennen alle ihre früheren Depots – einen spektakulären Lern- und Wandlungsprozess durchgemacht, der den Beobachter, der sie von früher kennt, beglückt und staunend die Augen reiben lässt, so märchenhaft erscheint diese Umkehr der Falken.
Sie erzählen in Büchern und Interviews von ihren Barrieren im Kopf, und wie sie sich im offenen Gespräch mühevoll davon frei gemacht haben. Sie leben vor, wie Verständigung und Aussöhnung gelingen kann, ohne sich zu verleugnen. Sie leben zivile Courage. Sie nehmen Nachteile in Kauf. Sie riskieren etwas. Sie setzen sich aus. Sie verlassen ihre Festungen. Sie gehen ein Wagnis ein, das Wagnis der üblen Diskreditierung aus den eigenen Reihen, hüben wie drüben.
Sie nehmen hin, dass man sie schmäht, dass man sie des Überläufertums und des Gesinnungsverrats bezichtigt. Aber sie bleiben unbeirrt. Sie halten an jenem Bekenntnis zum Dialog fest, den Friedrich Heer in seinem Buch „Gespräch der Feinde“, bezogen auf Europa, 1949 so eindringlich eingemahnt hat: „ . . . die Gegensätze in fruchtbarer Spannung miteinander ringen lassen, niemals zu einer Übermachtung des Gegners kommen“:
Da sind Josef Feldner und Marjan Sturm, Heinz Stritzl und Bernard Sadovnik schon weiter. Sie teilen Podien und schreiben gemeinsam Manifeste. Sie leben vor, wie eine gemeinsame Kultur des Feierns und des Erinnerns ausschauen könnte, ohne sich über den anderen zu erheben, ohne Wunden aufzureißen, ohne aufzutrumpfen, ohne sich als Opfer fortzuschreiben, ohne Geschichte zu leugnen.
Sie gehen hinaus zu den Menschen, um ihnen die Ängste und Vorurteile zu nehmen, dort, wo sie tief sitzen und an der Wurzel behandelt werden müssen. Die Prediger der Vernunft sind glaubwürdig, weil sie sich die Ängste selbst genommen haben. Sie werben für die Einsicht, dass eine zweisprachige Ortstafel im Jahr 2009 kein okkupatorisches Symbol mehr ist, kein Symbol der Besitzergreifung, der Begierde, sondern ein Kulturdenkmal, das auf gemeinsame Wurzeln verweist, eine Kulturtafel, wie Valentin Inzko sagt, äußeres Zeichen gemeinsamer Identität und Geschwisterlichkeit.
Die Mahner gehen noch ein Stück weiter. Sie belassen es nicht beim Appell. Sie gehen hinein in den Steinbruch. Sie erarbeiten für die Politiker Vorschläge und Lösungen. Sie gehen voran. Sie üben sanften aufklärerischen Druck von unten, der eigentlich von oben kommen sollte, aber der Druck von oben ist nur repressiv und nicht emanzipatorisch.
Sie sind ein Beispiel besten Bürgersinns.
Für die Herrschenden im Land ist Konsens, der von unten kommt, etwas Unheimliches und Bedrohliches, etwas, das ihnen nicht ins Blatt passt. Wer nicht den besseren Menschen will, wer keine humanere Gesellschaft im Sinn hat, wer nicht eint und zusammen führt, sondern im Gegenteil Vorurteile und Ängste für sein politisches Geschäft benötigt, um daraus Kapital zu schlagen, in alter Währung, für den ist Konsens und Verständigung etwas Subversives, ein Ärgernis, politische Geschäftsschädigung. Nur so ist die Niedertracht und herablassende Ignoranz zu begreifen, mit der die hiesigen Machthaber den Mitgliedern der Konsensgruppe begegnen, bis zum heutigen Tag.
Ausgerechnet die, die zuvor den Wappensaal des Landtages als Kulisse für das Knipsen von propagandistischen Wahlkampf-Fotos missbrauchten, verwehrten es dem Europäischen Parlament, der Konsensgruppe im Wappensaal den Bürgerpreis der EU zu verleihen. Nur wer „im öffentlichen Interesse“ dort hin wolle, erhalte Zutritt, da könne ja jede Schulklasse daherkommen.
So sprachen sie.
Ein solches Konzentrat an Verstiegenheit, Anmaßung und zivilisatorischer Selbstentblößung ist in keinem anderen Bundesland heute mehr denkbar. Genauso wenig, wie es heute anderswo denkbar wäre, dass zu einer Gedenkfeier wie hier auf dem Loibl, wo einst KZ-Häftlinge mit Händen den Tunnel gruben, und wo die beiden Staatspräsidenten Sloweniens und Österreichs der Gräuel gedenken, der amtierende Landeshauptmann unten im Tal bleibt.
In jedem anderen Bundesland wären auch heute abend die Spitzen des Landes anwesend, um das Toleranz-Werk der Konsensgruppe als rühmendes Beispiel für Bürger-Engagement, für die Wandlungsfähigkeit des Einzelnen, für Läuterung, Selbst-Entgrenzung, für europäisches Bewusstsein und Zivilgesellschaft zu würdigen.
Nicht hier.
Hier müssen sich die Mitglieder der Konsensgruppe von der Landeshauptmann-Partei, das sich Bündnis Zukunft nennt, als „slowenophile Zündler“ denunzieren lassen, als gekaufte Söldner Wolfgang Schüssels, die aus niederen, selbstsüchtigen Motiven gehandelt hätten.
Aber die infamen Anschuldigungen treffen nicht die, gegen die sie sich richten. Sie demaskieren die Ehrabschneider und ihre Unanständigkeit. Sie legen deren geistig-moralische Hohlräume offen.
Auch der Kärntner Abwehrkämpferbund empfindet die heutige Auszeichnung der Stadt Villach als Provokation, den Brückenbau der Preisträger als Zumutung. Der Verband hat aufgerufen, die seit jeher gemeinsam mit der Stadt Villach geplanten Feiern zum 10. Oktober zu boykottieren. Auch das: verzweifelte Entblößungen, weit draußen an den Rändern. Welche Traditionen meinen die Traditionsträger zu tragen? Die Tradition der damaligen Abwehrkämpfer wohl kaum. Hätten die sich gegen ein Miteinander im eigenen Land erhoben?
Hier ist aus Mut Kleinmut geworden, schreibt der ehemalige Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Heinz Stritzl. Das hätte er früher so wohl nicht formuliert und so wohl auch nicht durchgehen lassen, aber es ist gut und wichtig, dass er es jetzt tut, ein schöner Fall von Weitung.
Wo nichts mehr abzuwehren ist, dort wartet auf einen Abwehrkämpferbund keine Aufgabe mehr. Der Verlust des Feindbildes stellt die eigene Existenz in Frage. Hat man wegen dieser Verlust- und Legitimationsängste ein Interesse daran, dass die Gegensätze und die Gräben offen bleiben? Die Auflehnung des Abwehrkämpferbundes hat etwas Tragisches. Man darf verständnislos mild bleiben und weiter hoffen.
Mehrheitsfähig ist all das längst nicht mehr, genau so wenig wie es das verächtliche Verhalten des BZÖ gegenüber den Preisträgern ist. Der erhoffte Applaus wird ihm versagt bleiben. Der Kärntner Mainstream ist längst bei der Vernunft und nicht mehr bei den Gestrigen. Die Menschen sind müde geworden auf dem Laufband. Sie sind längst weiter im Denken als die Kärntner Politik und ihre Wirklichkeit, die eine ungesühnte fortgesetzte Rufschädigung des Landes darstellt.
Es gibt längst ermutigende Gegen-Wirklichkeiten. Die Gegenwirklichkeit der Jungen, die nach vorne blicken, die europäisch denken und die Grenzen ziemlich uncool finden; die Gegen-Wirklichkeit des kreativen Vulkans der Maler und Dichter, die Gegen-Wirklichkeit eines Florian Lipus, eines Valentin Oman, eines Josef Winkler, zu dessen Filmvorführung im Sommer 600 Menschen strömten, als warte ein Pop-Poet, wo gibt es das; die Gegen-Wirklichkeit der Kärntner Wirtschaft, die die Gespenster der Vergangenheit Gespenster sein ließ, die sich früh öffnete und neue Märkte erschloss, mit einer Entschlossenheit, die bei den slowenischen Nachbarn und nicht bei uns Okkupationsängste wach rief; die Gegen-Wirklichkeit der vielen kleinen und großen Gourmets, die das kulinarische Dreiländereck Kärnten-Slowenien-Friaul längst als sinnliche Genuss-Oase entdeckt haben; die Gegen-Wirklichkeit des Sports, wo Eishockey-Vereine aus Kärnten und Slowenien, in einer mehrsprachigen Liga vereint, Woche für Woche gemeinsam dem Puck nachjagen, senza confini.
All diese Gegen-Wirklichkeiten, die in die Zukunft weisen, haben mehr Leuchtkraft als die bleierne Wirklichkeit der Kärntner Politik, als die öde Wirklichkeit des offenen, ermüdenden, ewig ungelösten Ortstafelkonflikts.
Kärnten läuft, und Alles läuft in Kärnten über das Gefühl. Man spürt das in den Liedern, die wehrlos machen, deren Melancholie vom Wissen um die Endlichkeit des Seins erzählt, vom Leben, das bald uma ist und vom Verlassensein, Bob Dylan auf Kärntnerisch, wenn man so will. Wenn die Gefühlsschleusen sich so leicht öffnen lassen, ist das schön, aber schön gefährlich. Man ist leichter verführbar als anderswo, wo es nüchterner und melodieärmer zugeht. Man ist empfänglich für die, die mit den Gefühlen spielen, und es gibt immer noch zu viele, die mit sich spielen lassen. Das Selbstbewusstsein ist da, aber es ist brüchig. Es schlägt schnell um in Beleidigtheit und die lässt sich, wie man weiß, politisch kultivieren und missbrauchen: Gegen die draußen. Gegen die Außenwelt. Gegen Wien. Dann bricht das Selbstbewusstsein und wird ängstlich und atmet schwer. Dann ist plötzlich der Andere, die andere Sprache ein Identitätsproblem. Dann sucht man Zuflucht in der Abgrenzung, im Gestern, in den alten Schützengräben. Gegen dieses leichte rasche Kippen dessen, was man „Kärntner Seele“ nennt, ist die Bewusstseins- und Überzeugungsarbeit dieser Konsensgruppe ein Schutzwall.
Er sei der Harmonie dieser Kärntner Landschaft verfallen, bekannte Valentin Inzko unlängst in einem Interview in der Kleinen Zeitung, und er weigere sich, sagte er, die Hoffnung aufzugeben, dass diese Harmonie eines Tages auch in den Menschen, die im Süden Kärntens zusammenleben, irgendwann ihren Niederschlag finden wird.
Bernard Sadovnik, Josef Feldner, Heinz Stritzl, Marjan Sturm, Stefan Karner _ diese starke geistige Kärntner K-FOR-Truppe, bringt die Hoffnung ihrer Erfüllung ein Stück näher. Ihr Friedens- und Toleranzprojekt lädt ein, aus dem Gefühlsschutt und den Kerkerlöchern der Vergangenheit herauszutreten. Das ist eine kulturelle Großtat, die Respekt und Achtung und Ermutigung verdient. Das ist Kärntner Heimat-Dienst.
Er fordert die Kärntner Politik heraus, nein, er beschämt sie. Sofern sie zu Scham fähig und bereit ist.
Herzlichen Glückwunsch.

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